„Recycling für die Bürger leichter machen“
Bundesumweltministerin Hendricks: Bald kommt die neue Wertstofftonne, die die gelben Säcke ersetzt.
19. Mär. 2014 –
Hannes Koch: Frau Hendricks, der Anstieg der globalen Temperatur macht seit etwa einem Jahrzehnt Pause. Wird Klimaschutz dadurch weniger dringend?
Barbara Hendricks: Nein, das sind kurzfristige Schwankungen, auf die wir uns nicht verlassen sollten, weil sie nichts am langfristigen Trend ändern. Es muss unser Ziel bleiben, die Erwärmung der Erdatmosphäre auf zwei Grad zu beschränken. Wenn wir für die Energiewende und andere Gegenmaßnahmen einige Jahre mehr Zeit hätten, wäre das aber hilfreich, weil es unsere Erfolgschancen erhöht. Sonst mag sich Fatalismus ausbreiten nach dem Motto „Klimaschutz bringt sowieso nichts mehr“.
Koch: Befürchten Sie manchmal, mit solch großen Themen an den alltäglichen Interessen der Bürger vorbeizureden?
Hendricks: Wenn ich dauernd nur von internationaler Klimapolitik spräche, wäre das vielleicht so. Aber der Klimawandel betrifft uns ja im Alltag, wenn die Extremwetterlagen häufiger und heftiger werden. Besonders starke Regenfälle verursachten im Sommer 2013 Hochwasser an Elbe und Donau. Ich komme vom Niederrhein, Herbst- und Frühjahrshochwasser sind dort bekannt. Dass wir aber die Flüsse nun selbst im Sommer nicht beherrschen, ist nicht mehr normal. Ein anderes Beispiel: Kinder und Erwachsene interessieren sich dafür, wie die Tiere in entfernten Ländern leben. Tiger, Elefanten und Nashörner haben es auch nicht leicht angesichts des Klimawandels. Denn dieser bedroht ihren Lebensraum.
Koch: Für den Schutz des Klimas wäre es auch gut, wenn wir weniger wegwerfen würden oder zumindest die Rohstoffe aufbereiteten. Wann kommen die neuen Wertstofftonnen?
Hendricks: Wir sind auf einem guten Weg. In diesem Herbst werden wir einen Vorschlag vorlegen, wie wir das Wertstoff-Recycling für die Bürger flächendeckend noch leichter machen können.
Koch: Welche Materialien sollen die Bürger dann damit sammeln?
Hendricks: Erstens die Verpackungen, die heute bereits die Dualen Systeme in den gelben Tonnen und gelben Säcken erfassen. Außerdem andere Gegenstände aus Kunststoff und Metall, beispielsweise altes Kinderspielzeug, ausrangierte Töpfe, Schaumstoff – möglichst viel, das man wiederverwerten kann. Untersuchungen zeigen, dass man so die Sammelmenge um sieben Kilo pro Einwohner und Jahr steigern kann.
Koch: Müssen die Hauseigentümer neben den gelben Tonnen Platz schaffen für einen weiteren Behälter?
Hendricks: Nein, es bleibt bei einem System für Verpackungen und stoffgleiche Wertstoffe. Wir wollen den Bürgern das Reycling ja leichter machen. Dank der Wertstofftonne sollte klar sein, was nicht mehr in den Restmüll gehört. Außerdem haben wir das neue Elektrogesetz auf den Weg gebracht. Künftig müssen beispielsweise Elektronikmärkte alte Notebooks, Handys, Föhne oder Bügeleisen zurücknehmen. Bisher war das freiwillig.
Koch: Sie haben angekündigt, dass Deutschland schnell einen nationalen Klimaschutzplan mit Sofortmaßnahmen bekommt. Warum?
Hendricks: Ohne zusätzliche Anstrengungen können wir unsere Zusage nicht verwirklichen, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Wenn wir keine weiteren Maßnahmen ergreifen, werden wir nur rund 33 Prozent erreichen. Es muss also etwas geschehen – unter anderem im Gebäudebestand, im Verkehr und in der Landwirtschaft.
Koch: Wie wollen Sie Immobilienbesitzer dazu bringen, dass sie ältere Wohngebäude besser dämmen?
Hendricks: In Deutschland stehen beispielsweise rund 15 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser. Und viele Eigentümer sind nicht in der Lage, beliebig hohe Summen für die komplette energetische Sanierung ihres Häuschens auszugeben. Darum wollen wir auch Teilsanierungen stärker fördern. Die kosten weniger, aber bringen dem Klima mehr, als wenn gar nichts geschähe.
Koch: Trotz der Energiewende nimmt der Kohlendioxid-Ausstoß aus deutschen Kohlekraftwerken wieder zu. Wie wollen Sie den Emissionshandel verbessern?
Hendricks: Die Verschmutzungszertifikate, die unter anderem die Betreiber von Kohlekraftwerken nachweisen müssen, sind einfach zu billig. Der Grund: Es sind zu viele auf dem Markt. Deswegen plädiere ich dafür, das System schon 2016 zu reformieren und nicht erst 2020, wie die EU-Kommission vorschlägt.
Koch: Seit dieser Woche wird die Menge der Emissionszertifikate bereits verknappt.
Hendricks: Das ist der erste Schritt zur Reparatur des Systems. Aber es reicht nicht, 900 Millionen Zertifikate vorübergehend stillzulegen. Es sind zwei Milliarden Zertifikate zu viel im System, das entspricht ungefähr der Menge CO2, die in Europa in einem Jahr ausgestoßen wird. Die wollen wir dauerhaft aus dem Markt nehmen und in eine Reserve überführen.
Koch: Lässt sich damit langfristig sicherstellen, dass der schmutzige Kohlestrom nicht zu billig ist?
Hendricks: Wir wollen ein atmendes System. Wenn zu viele Zertifikate auf dem Markt sind, sollten dem Markt automatisch Verschmutzungsrechte entzogen werden.
Koch: Beim EU-Gipfel in dieser Woche diskutieren die Staaten über die künftige Energiepolitik. Sie haben die neue Klimapolitik der EU-Kommission als zu wenig ehrgeizig kritisiert. Warum ist Brüssel neuerdings so zurückhaltend beim Klimaschutz?
Hendricks: Die EU ist größer geworden und eine Einigung mitunter schwieriger. Manche osteuropäische Staaten sehen engagierten Klimaschutz skeptisch, denn ihre Energieversorgung basiert noch zu stark auf alten fossilen Energiequellen. Das beeinflusst natürlich die EU-Kommission, die zu einvernehmlichen Regelungen kommen muss. Im internationalen Geschäft muss man diese Interessenlagen erkennen und dann eine Lösung finden, zum Beispiel bei der EU-internen Verteilung der Ziele.
Koch: Bis 2020 verfolgt die EU ein dreifaches Ziel: jeweils 20 Prozent Minderung des Kohlendioxid-Ausstoßes, Anteil von regenerativem Strom und Steigerung der Energieeffizienz. Lässt sich dieser Ansatz für die Zeit nach 2020 retten?
Hendricks: Die Kommission schlägt ein für alle Mitgliedstaaten verbindliches CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2030 vor. Wir treten zusätzlich dafür ein, neben einem Effizienz-Ziel auch ein für alle Staaten verbindliches neues Ziel für den Anteil der erneuerbaren Energien festzulegen. Da spüren wir aber starken Gegenwind.
Koch: Ist es der Bundesregierung nicht ganz recht, dass der Klimawandel nicht mehr so ernst genommen wird – schließlich kosten die Gegenmaßnahmen jede Menge Geld?
Hendricks: Die Bundesregierung verfolgt den Klimaschutz mit allem Ehrgeiz. Wir wollen unsere Emissionen bis 2020 um 40 Prozent reduzieren. Europa schafft das wahrscheinlich erst 2030. Deutschland ist also zehn Jahre voraus. Das wollen wir auch bleiben.
Bio-Kasten
Barbara Hendricks (61) ist seit Ende 2013 Bundesumweltministerin. Zuvor trug sie die Verantwortung für die Finanzen der SPD. Unter den SPD-Ministern Oskar Lafontaine, Hans Eichel und Peer Steinbrück arbeitete sie als Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium. Hendricks kommt aus Kleve an der deutsch-niederländischen Grenze (NRW).
Rückgabe alter Elektrogeräte
Gute Frage: Wohin mit dem alten Drucker, der Mikrowelle oder dem Bügeleisen? Bisher brauchten Elektrogeschäfte ein ausrangiertes Gerät nicht zurückzunehmen, nicht einmal, wenn man ein neues kaufte. Mit ihrer Novelle des Elektrogesetzes will die Bundesregierung das nun ändern.
Wenn das Gesetz wahrscheinlich 2015 in Kraft tritt, müssen große Elektronikmärkte (über 400 Quadratmeter Verkaufsfläche) ein altes Gerät kostenlos zurücknehmen, wenn man ein ähnliches neues erwirbt. Man kann also im Tausch gegen eine neue Mikrowelle eine alte abgeben, auch wenn sie von einem anderen Geschäft stammt. Zusätzlich darf man weitere Kleingeräte (bis 25 Zentimeter Kantenlänge), beispielsweise Handys abgeben, ohne im Gegenzug neue zu erstehen. Kleinere Geschäfte unter 400 Quadratmetern müssen nur alt gegen neu austauschen, nicht aber weitere Geräte akzeptieren.
Der Sinn der Regleung besteht darin, mehr alte Apparate in den Kreislauf zurückzuholen und die darin enthaltenen Rohstoffe wiederzuverwerten. Heute liegt viel alte Elektronik in den Haushalten herum, weil es lästig ist, sie extra zu den kommunalen Reyclinghöfen zu bringen.
EU-Gipfel
Das Klima schützen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden – darum geht es beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag. Die EU-Kommission schlägt vor, dass Europa seinen Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2030 um 40 Prozent verringert. Ein bindendes Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien in den einzelnen Mitgliedsstaaten soll es nicht geben. Unter anderem Großbritannien und Polen lehnen dies ab, weil sie Nachteile für ihre Wirtschaftsentwicklung fürchten. Umweltministerin Hendricks plädiert dagegen für verbindliche Ökoenergie-Ziele.