Richtiger Schub fehlt

Erste Wasserstoffbilanz vorgelegt

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Von Björn Hartmann

10. Nov. 2022 –

Wasserstoff soll in den kommenden Jahren Erdgas als wichtigen Energieträger für die deutsche Wirtschaft ablösen. Stahlhersteller wollen ihre Werke umstellen, die chemische Industrie arbeitet am umfangreichen Einsatz des Gases. Doch die Wirklichkeit stimmt deutlich weniger optimistisch, wie die erste H2-Bilanz für die Bundesrepublik zeigt. Deutschland ist danach nicht bereit für den Umstieg auf Wasserstoff – trotz optimistischer Pläne.

Weder wird es – Stand heute – 2030 genug deutsche Anlagen geben, die grünen Wasserstoff mit Strom aus erneuerbaren Energien herstellen können, noch kann der deutsche Importbedarf gedeckt werden. Und selbst wenn genügend Gas beschafft werden könnte, fehlt Infrastruktur – idealerweise Pipelines –, um es zum Kunden bringen zu können. Die Daten hat das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln im Auftrag des Essener Energiekonzerns Eon gesammelt.

„Es besteht dringender Handlungsbedarf der Politik“, sagte Patrick Lammers, im Eon-Vorstand zuständig für das europäische Kundengeschäft. Die Nachfrage nach Wasserstoff steige – vor allem in der Chemie- und Stahlindustrie. Energieversorger und Investoren stünden bereit. Allerdings, sagt Lammers, seien für viele die Unsicherheiten zu hoch, um zu investieren. Es lässt sich bis 2030 also noch etwas ändern an der misslichen Lage.

Wasserstoff gilt als guter Ersatz für Erdgas. Er lässt sich in sogenannten Elektrolyseuren aus Wasser herstellen. Nötig ist dafür Strom. Wird Wasserstoff verbrannt, entsteht kein klimaschädliches CO2, sondern Wasser. Bis 2030 sollen in Deutschland nach den Plänen der Bundesregierung Elektrolysekapazität für mindestens zehn Gigawattstunden entstehen. Die Daten des EWI zeigen, dass zurzeit nur eine Leistung von etwas mehr als 5,6 Gigawatt geplant sind. Bisher gibt es in Deutschland bereits Kapazität von 0,065 Gigawatt.

Insgesamt benötigt Deutschland 2030 nach der Leitstudie der staatlichen Deutschen Energieagentur (Dena) 2030 rund 66 Terawattstunden Wasserstoff. Was Deutschland nicht selbst herstellen kann, muss eingeführt werden. Den Zahlen der H2-Bilanz zufolge sind das 2030 nach aktuellem Stand 50,5 Terawattstunden – das entspricht dem monatlichen Erdgasverbrauch Deutschlands im September 2022. Erste Verträge haben Energieversorger bereits mit Partnern etwa in Australien, Israel, Kanada, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten geschlossen. Ausreichend ist die Menge bisher nicht.

Und selbst wenn der Wasserstoff etwa per Schiff nach Deutschland gebracht werden könnte: Es gibt nicht genug Leitungen, um das Gas zu den Kunden zu bringen. Bisher existieren 417 Kilometer reine Wasserstoffpipelines – vornehmlich in Chemieparks, wie Eren Cham vom EWI berichtete. Das reiche nicht einmal von Wilhelmshaven zum Chemiepark Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, ergänzte Eon-Vorstandsmitglied Lammers. Bis 2035 sind bisher rund 2273 Kilometer projektiert. Zum Vergleich: Das Erdgas-Fernleitungsnetz hat derzeit eine Länge von rund 40.000 Kilometern.

Aus Sicht von Eon lässt sich allerdings noch einiges bewegen. „Wir brauchen klare Rahmenbedingungen, und zwar schnell“, sagte Vorstandsmitglied Lammers. Sieben Jahre seien keine lange Zeit, wenn man betrachte, was noch alles zu tun sei. Bisher mangele es an fundamentalen Voraussetzungen.

Ein Problem, an dem es bisher hakt, ist die EU. Dort wird gerade diskutiert, ob Gasversorger auch ein Wasserstoffnetz betreiben dürfen. Die EU-Kommission sagt bisher nein. Das bedeutet: Sollte ein Unternehmen sein Gasnetz komplett auf Wasserstoff umstellen, was bei dem Großteil der bestehenden Pipelines möglich wäre, müsste er sich danach davon trennen. Die Folge aus Sicht der Industrie: Niemand möchte investieren.

Auch die  Bundesregierung ist gefragt: „Wir wünschen uns mehr Kapazität bei den Genehmigungsbehörden und mehr Digitalisierung“, sagte Gabriël Clemens, Leiter des Eon-Geschäftsbereichs Green Gas. Außerdem setzt er auf neue Regeln, wie sich Projekte schneller bauen lassen. Vorbild ist das LNG-Gesetz, durch dass es möglich ist, binnen weniger Monate Flüssiggasterminal etwa in Wilhelmshaven zu bauen.

Sorge bereitet Lammers auch der Inflation Reaction Act in den USA, praktisch ein riesiges staatliches Investitions- und Subventionsprogramm. Elektrolyseure seien ein knappes und gefragtes Gut, wenn die erst in den USA stünden, seien sie für Deutschland und Europa verloren, sagte Lammers. Und Wasserstoff aus den USA teuer zu importieren, hält er für nicht sinnvoll.

Die H2-Bilanz ist der erste Überblick über die deutschen Wasserstoffaktivitäten. Das EWI hat dafür öffentliche Quellen analysiert. Eon will die Bilanz künftig alle halbe Jahre aktualisieren.

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