Rückflug am Samstag

Der Vize-Vorsitzende des diesjährigen Weltwirtschaftsforums muss zurück in das kenianische Flüchtlingslager, in dem er lebt.

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Von Hannes Koch

25. Jan. 2019 –

Mohammed Hassan Mohamud empfindet sich als Außenseiter beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Das ist er tatsächlich. „Eine unsichtbare Wand steht zwischen mir und den anderen“, sagt er. Mohamud hat das Gefühl, dass sich die WEF-Teilnehmer nicht wirklich für seine Lage interessieren. Bis Freitag amtiert er noch als Vize-Vorsitzender des diesjährigen Forums. Am Samstag muss er zurückfliegen in das Flüchtlingslager Kakuma in Kenia, wo er lebt.

Wegen des ab 1991 tobenden Bürgerkriegs floh seine Familie aus Somalia. 20 von 28 Lebensjahren hat Mohamud mittlerweile im Lager Kakuma zugebracht, wo 185.000 Menschen leben. Anfangs wohnten die Flüchtlinge in Zelten. Mittlerweile stehen dort Hütten mit Blechdächern. Die zehn Angehörigen von Mohamuds Familie haben zwei Räume zur Verfügung. Weil Mutter und Vater gestorben sind, ist er als Ältester verantwortlich für seine sieben Geschwister.

Die Bewohner von Kakuma leben in der Regel von der Versorgung durch die Vereinten Nationen. Von den Lebensmittelrationen könne man manchmal etwas zurücklegen, um es in einem kleinen Laden zu verkaufen, erzählt Mohamud. Dadurch verdient die Familie sporadisch Bargeld. In der Grund- und höheren Schule des Lagers hat der junge Mann seine Ausbildung absolviert. Weil sein Englisch gut ist, arbeitet er jetzt als ehrenamtlicher Übersetzer.

Zufällig kam er in Kontakt zu Leuten vom WEF, die so beeindruckt von ihm waren, dass sie ihn als Vize-Vorsitzenden des diesjährigen Managergipfels einsetzten. Für das WEF ist es ein humanitärer Akt, Mohamud einen zumindest temporären Ausweg aus dem Lagerleben zu ermöglichen – und ein Statement gegen die herrschende Flüchtlingspolitik.

Trotzdem erhielt er nur mit Mühe und Not ein Schweizer Visum. Die Mitarbeiter der Botschaft in Nairobi hätten befürchtet, er würde in Europa untertauchen, meint Mohamud. Rückflug ist am Samstag - die Eidgenossen wollen ihn möglichst schnell wieder loswerden.

Seine Aussichten, das Lager verlassen und ein normales Leben beginnen zu können, schätzt er selbst als gering ein. Er würde gerne Politik an einer Universität studieren, hat sich mehrmals beworben, wurde aber abgelehnt. Ein Problem besteht beispielsweise darin, dass er keinen Pass hat. Möglicherweise kann und will ihm das WEF helfen, einen neuen Lebensweg einzuschlagen. Ob das klappt, ist aber nicht sicher.

Trifft man Mohamud zum Interview, wartet er nicht auf die erste Frage, sondern stellt selbst eine: „Warum nimmt Europa nur die Leute aus Afrika auf, die die gefährliche Bootsfahrt über das Mittelmeer riskieren und dabei nicht ertrinken?“ Er fordert die europäischen Politiker auf, in die Flüchtlinge in den Camps zu investieren und wenigstens einigen von ihnen die legale Immigration zu gestatten.

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