Russlands eisige Kälte

Deutschland muss sparen – mit Außenmaß

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Von Björn Hartmann

18. Jun. 2022 –

Russland dreht Deutschland den Gashahn zu. Das zeigt, wie sehr der Angreifer der Ukraine unter Druck steht. Wir müssen deshalb jetzt sparen, die Haushalte ebenso wie die Industrie. Damit die Gasspeicher weiter gefüllt werden können und Deutschland gut durch den nächsten Winter kommt.

 

Er ist vermutlich die schärfste Wirtschaftswaffe Russlands: der staatliche Gaskonzern Gazprom, der größte der Welt. Und Staatschef Wladimir Putin nutzt ihn jetzt, um seinen Angriffskrieg in der Ukraine auch nach Deutschland zu tragen. Gazprom klemmt den größten Kunden langsam ab und droht so gleichzeitig, die wichtigste Wirtschaftsmacht Europas zu treffen. Die Drohung: Ihr friert im Winter und Europa stürzt in eine Wirtschaftskrise.

Bisher hatte Russland immer nur gedroht, kein Gas mehr zu liefern. Angriffe auf die Pipelines durch die Ukraine vermied die Armee. Die Unsicherheit, ob Russland tatsächlich auf die hohen Einnahmen aus den Gaslieferungen verzichten will, war wirksamer Teil der Kriegsführung. Das russische Vorgehen jetzt zeigt deshalb, wie sehr offenbar internationale Sanktionen, Waffenlieferungen an die Ukraine und die Einheit des Westens Russland zusetzen. Denn wenn das Gas abgeklemmt ist, hat Putin kaum gleichermaßen wirksame wirtschaftliche Hebel mehr. Dass seine Strategie aufgeht, ist unwahrscheinlich. Denn Deutschland kann sich wehren.

Neben Öl war Gas 2021 der wichtigste Energieträger in Deutschland. Haushalte haben im vergangenen Jahr 31 Prozent davon verbraucht, vor allem, um zu heizen. Die Heizungen ein oder zwei Grad niedriger einzustellen, würde den Gasverbrauch bereits spürbar senken.

Gesetzlich verordnetes Frieren sei unsinnig, sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD). Darum geht es auch nicht. Niemand fordert, Gasheizungen abzuschalten. Es geht darum, dass Vermieter die Heizanlagen auf 18 oder 19 statt auf 20 Grad Temperatur hochstellen. Vor allem Hausverwaltungen und große Wohnungsvermieter müssen sich an gesetzliche Vorgaben halten und können nicht einfach die Anlagen niedriger einstellen. Hier muss die Bundesregierung die Vorgaben entsprechend ändern.

Keine Lösung ist, allen Bundesbürgern, vor allem den Eigenheimbesitzern, vorzuschreiben, wie sie ihre Heizungen einstellen sollen. Das will und kann der Staat nicht überprüfen. Viele heizten angesichts der steigenden Energiepreise und aus Sorge vor sehr hohen Nachzahlungen zum Jahresende bereits Anfang 2021 weniger. Und sie werden deshalb auch in diesem Herbst überlegen, ob nicht erst einmal ein Pullover zusätzlich günstiger ist, als den Regler aufzudrehen, wenn es etwas kühler wird.

Neben den Haushalten muss auch die Industrie ihren Verbrauch drosseln. Sie nahm 2021 rund 36 Prozent allen Gases ab – vor allem für Prozesswärme und als Rohstoff. Auch hier zwingen die steigenden Preise bereits zum Sparen. Hier radikal abzuschalten, damit Haushalte mollig warm sind, wäre gefährlich: Der mit Abstand größte Gasnutzer ist die chemische Industrie. Die daraus entwickelten Grundstoffe stecken in Medizintechnik, Matratzen, Lack, Dünger, Dämmstoffen, Autos, Arzneimitteln – europa-, ja weltweit. Fällt die Branche aus, steuert Deutschland in eine Wirtschaftskrise.

Doch Sparen allein reicht nicht. Wir brauchen mehr Gas – aus den Niederlanden, aus Norwegen. Und vielleicht lassen sich die schwimmenden Terminals für Flüssiggas, die die Bundesregierung gemietet hat, noch schneller verbinden als bisher geplant. Dann kann Flüssiggas aus den USA, der Karibik, Nigeria oder aus Katar nach Deutschland geliefert werden.

Zusätzlich besteht jetzt die Chance, Alternativen voranzutreiben. Erdwärme etwa im großen Stil stärker zu nutzen. Deutschland kann nicht binnen Wochen ändern, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde: die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen. Aber wir können versuchen, das Beste daraus zu machen.

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