Sanktionen wirken zum Teil
Verbote werden umgangen, etwa in Asien
22. Aug. 2023 –
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine haben zahlreiche Länder umfangreiche Sanktionen gegen den Angreifer beschlossen. Das Land sollte wirtschaftlich isoliert werden, um den Krieg zügig zu beenden. Doch eineinhalb Jahre nach Kriegsbeginn dauern die Kämpfe an. Und wirtschaftlich scheint Russland noch leidlich dazustehen. Der Fall zeigt grundsätzlich, wie Sanktionen wirken und wo es hakt.
Seit Februar 2022 hat die EU in inzwischen elf Paketen Sanktionen gegen rund 1800 Personen und Organisationen verhängt. Das letzte Paket stammt vom Juni 2023. Auch die USA haben die Art und Zahl der Sanktionen in mehreren Schritten ausgeweitet. Betroffen sind unter anderem Russlands Präsident Wladimir Putin, Politiker und Wirtschaftsgrößen wie Oligarch Alischer Usmanow, der am Tegernsee in Bayern lebte.
Die EU hat im Vergleich zu 2021 etwa 49 Prozent der Ausfuhren nach Russland und 58 Prozent der Einfuhren mit Sanktionen belegt – Luft- und Raumfahrttechnologie, elektronische Bauteile, Software, aber auch Luxusgüter wie Champagner. Öl, Kohle, Stahl, Gold stehen auf der Importverbotsliste. Zudem haben EU und die führenden Wirtschaftsnationen (G7) rund 300 Milliarden Euro Reserven der russischen Zentralbank blockiert. Im Kern geht es darum, Russland von dringend nötigen Devisen abzuschneiden und die Wirtschaft auszubremsen.
Doch die Sanktionen haben ein grundsätzliches Problem: Russland ist ein großer Rohstofflieferant. „Das Land ist international zu wichtig und zu groß, um es komplett auszuschließen“, sagt ein Experte, der nicht genannt werden will. Umfangreiche Verbote würden die Weltwirtschaft in Turbulenzen stürzen, deshalb „gesteht man Russland gewisse Einnahmen zu“.
Ein weiteres Problem: Nicht alle großen Wirtschaftsnationen der Welt haben sich den Sanktionen angeschlossen. China und Indien etwa ziehen nicht mit. Allerdings nutzen sie die Lage Russlands aus. So haben führende Wirtschaftsnationen Ende 2022 eine Preisobergrenze für russisches Öl von 60 Dollar je Fass (159 Liter) eingeführt, wenn es mit registrierten Tankern transportiert wird. Russland baute deshalb eine Schattenflotte auf. Denn Kunden gibt es: China und Indien nehmen Öl ab, aber nur mit Abschlägen. Die US-Sorte WTI kostet derzeit um die 81 Dollar.
Auch sonst haben Händler Wege gefunden, die Sanktionen zu umgehen. Der Verdacht fällt meist auf die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien wie Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan. Nach Kirgisistan verachtfachte sich der Wert der Ausfuhren zwischen erstem Halbjahr 2022 und erstem Halbjahr 2023 auf rund 372 Millionen Euro. Die Menge ist im Vergleich zu Russlands Handelseinbußen gering: Der Wert der Waren aus Deutschland schrumpfte im gleichen Zeitraum um 40 Prozent auf 4,9 Milliarden Euro.
Das Exportplus in zentralasiatische Länder kann mehrere Gründe haben: Viele Waren sind nicht sanktioniert, Geräte für die Landwirtschaft etwa oder Waschmaschinen oder Kleinwagen. Das legale Geschäft läuft dann über die zentralasiatischen Länder indirekt nach Russland. Oder Ware, die früher über Russland nach Zentralasien gehandelt wurde, wird jetzt direkt dorthin verkauft. Und natürlich kann es sich auch um Waren handeln, mit denen die Sanktionen umgangen werden.
Ein viel größeres Problem sind andere Länder in Asien, die sich nicht an den Sanktionen der westlichen Länder beteiligen: Neben China und Indien nennt ein Manager, der ebenfalls nicht genannt werden will, Hongkong, Taiwan, Thailand und die Philippinen. „Bei diesen Ländern ist es schwer, die Warenflüsse zu kontrollieren.“
Und wenn vier oder fünf Zwischenhändler beteiligt sind, kann auch das beste deutsche Unternehmen den Weg nicht nachweisen. Ein kleinerer Mittelständler hat ohnehin nicht die Kapazität dafür. Zumal die Zwischenhändler alles daran setzen, die Wege zu verschleiern. So landen sanktionierte Produkte sogar im Kriegsgebiet. Zuletzt entdeckten Experten Chips des deutschen Herstellers Infineon in russischen Marschflugkörpern, die in der Ukraine abgeschossen wurden.
Die neuen, sehr wackeligen Handelsstrukturen zu nutzen, kostet. Mehr Zwischenhändler wollen Geld, lassen sich das Risiko bezahlen. Und es ist nicht immer klar, wann dringend benötigte Teile tatsächlich kommen und ob überhaupt. So bleiben zahlreiche Flugzeuge in Russland am Boden, weil Airbus keine Ersatzteile liefert und auch sonst wenige zu beschaffen sind. Zudem muss Russland Konsumgüter einführen, weil es selbst nicht genug herstellt. Auch dafür sind Devisen nötig. Denn auch in Zentralasien, China oder Indien wird sich niemand mit dem schwächelnden Rubel bezahlen lassen, sondern auf harten Währungen wie Dollar, Euro, Schweizer Franken oder auch Yuan bestehen.
Derzeit lebt Russland von Reserven, die es in der Vergangenheit aufgebaut hat. Geld fließt in die Kriegswirtschaft, was zuletzt das Bruttoinlandsprodukt steigen ließ, und in hohe Soldatengehälter. Aber: „Wirtschaft und Innovationskraft Russlands leiden“, heißt es vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Es gebe auch keinen internationalen Wissenschaftsaustausch mehr. „Die Sanktionen wirken, aber es dauert. Die Frage ist, wie lange. Große Wachstumsperspektiven hat das Land jedenfalls nicht.“