„Sie haben sich den eigenen Arbeitsplatz geschaffen“

Im Interview: Martin Gornig (DIW)

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Von Wolfgang Mulke

12. Apr. 2016 –

 

Noch vor wenigen Jahren galt Berlin als wirtschaftliche Brache. Inzwischen boomt die Hauptstadtregion. Mit einer besonders guten Wirtschaftspolitik hat das weniger zu tun, meint der Ökonom Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

 

Frage: Inwieweit ist die anhaltend positive Entwicklung Berlins ein Erfolg der Wirtschaftspolitik des Senats?

 

Martin Gornig: Eine Zeitlang hatte man mit Blick auf den Senat den Eindruck, je weniger Industrie es in Berlin gibt, desto besser ist es. Erst 2005 gab es ein Umdenken, nachdem es mit der Wirtschaft immer weiter bergab ging. Eine wichtige Entscheidung hat die Landesregierung aber getroffen und bei allem Spardruck nicht an Forschung und Entwicklung gerüttelt. Aus dem Erhalt der Forschungslandschaft ist schließlich der Aufschwung entstanden.

 

Frage: Wie kam es zu der zu beobachtenden Eigendynamik, zum Beispiel im Gründungsgeschehen oder beim Bevölkerungszuwachs?

 

Gornig: Es gab hier eine erstaunliche Entwicklung. Normalerweise wächst die Bevölkerung in wirtschaftlich starken Ballungszentren. Nach Berlin reisten immer mehr junge Leute zu, als es der Stadt schlecht ging. Die Studenten waren der Grundstock für den Aufschwung. Sie wollten nach dem Studium in Berlin bleiben, aber es gab keine Jobs. Also haben sie sich selbstständig gemacht und so ihren eigenen Arbeitsplatz geschaffen. Ein zweiter Grund war die neue entstandene Internetökonomie, für die es in Deutschland noch keinen großen Standort gab. Diese Szene entwickelte eine enorme Anziehungskraft. Wer darin heute etwas werden will, muss nach Berlin kommen.

 

Frage: Wird der Aufwärtstrend anhalten und falls ja, warum?

 

Gornig: Möglich sind viele Entwicklungen, selbst ein dauerhaft viel stärkeres Wachstum als im Bundesdurchschnitt, wenn die Bedingungen dafür stimmen. Berlin muss seine Stärken weiterentwickeln und die Gründer in den Wachstumsphasen unterstützen. Dazu brauchen wir Investitionen in den Wohnungsbau. Auch kann die positive Entwicklung in der IT-Wirtschaft für eine Re-Industrialisierung genutzt werden. Die Industrie 4.0 macht dies möglich. Wenn das gelingt, kann das Wachstum über lange Zeit aufrechterhalten werden.

 

Frage: Warum bleibt die Arbeitslosigkeit dennoch vergleichsweise hoch und Berlin die Transferhauptstadt des Landes?

 

Gornig: Die Beobachtung ist richtig. Ein Großteil der qualifizierten Jobs wird von den Leuten besetzt, die neu hereinkommen. Da fehlt es noch an Strategien. Es gibt zudem eine verfestigte Arbeitslosigkeit. Da der Sockel an Langzeitarbeitslosen größer ist als anderswo, dauert auch die Lösung des Problems länger. Chancen auf eine Verringerung der Arbeitslosigkeit auf breiter Front bestehen durchaus.. So hat die wachsende Bevölkerung mehr in der Tasche und gibt mehr aus für Einkäufe, Handwerker oder andere Dienstleistungen aus. Sie stoßen damit auch die herkömmlichen Wirtschaftszweige an.

 

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