„SMS, Telefonate, Internet sind schlicht unsicher“

„Ich bin erschrocken“, sagt Gerd Billen, der oberste Verbraucherschützer Deutschlands, darüber wie Union und SPD in diesen Tagen den Datenschutz verhandeln. Die Bundesregierung müsse die EU-Datenschutzreform voranbringen, das Kartellamt Googles Markmacht

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Von Hanna Gersmann

06. Nov. 2013 –

Gersmann: Herr Billen, Union und SPD verhandeln derzeit, wie in den nächsten Jahren die digitale Welt geregelt werden soll. Redeten anfangs alle vom Datenschutz, sieht es jetzt nach Aufrüstung aus. Der eine will Mautdaten kontrollieren, der andere Telefon- und Internetdaten ein halbes Jahr sammeln. Sind Sie enttäuscht?

Gerd Billen: Ich bin erschrocken. Die Bürger vertrauen Daten dem Mauteintreiber Toll-Collect, Facebook oder Google an. Sie tun dies immer in dem Glauben, sie hätten es mit einem Marktpartner zu tun – und nicht mit dem Staat, der Zugriff haben will. Der Staat darf sich nicht ohne einen Anlass aller persönlichen Daten bedienen. Es gibt dafür keine Begründung.

 

Gersmann: Für manchen ist Sicherheit und Verfolgung von Kriminalität Begründung genug.

Billen: Gibt es einen Verdacht, dann hat der Staat die Möglichkeit sich beispielsweise durch richterlichen Beschluss die Daten zu verschaffen.

 

Gersmann: Die CDU versprach im Wahlkampf Deutschland zu einem attraktiven Datenstandort machen. Für die SPD sitzt Brigitte Zypries in den Koalitionsverhandlungen, die einst als Bundesjustizministerin die sogenannte Vorratsdatenspeicherung vorangetrieben hat. Was ist von der großen Koalition zu erwarten?

Billen: Die Äußerungen sind in keiner Partei eindeutig, keiner sagt, wir wollen möglichst wenig Datenschutz. Und es gibt Handlungsbedarf. SMS, Telefonate und Internetkommunikation sind schlicht unsicher.

 

Gersmann: Muss ich mich um meine Daten bei der Krankenkasse oder dem Arbeitgeber sorgen?

Billen: Ich hinterlasse überall Spuren. Meine Sparkasse kennt allerdings nur meine Kontobewegungen, vermutlich aber nicht meine Freunde oder meine persönlichen Fußballvorlieben.

 

Gersmann: Viele sagen, sie hätten nichts zu verbergen. Warum regen Sie sich auf?

Billen: Meine Sorge ist, dass private Äußerungen für jemanden zugänglich gemacht werden, der sie nicht haben sollte. Außerdem ist es zum Beispiel Googles Geschäft, Profile zu erstellen, damit das Einkaufsverhalten vorhersehbar wird. Das ist nicht per sé schlecht. Aber Nutzer sollten in die Profilbildung einwilligen müssen. Zudem ist unklar, wie Google die Profile erstellt. Das sollte öffentlich kontrollierbar sein.

 

Gersmann: Sie schätzen Google nicht sehr?

Billen: Darum geht es nicht. Aber es gibt kaum Wettbewerb. Google hat in Deutschland einen Marktanteil von 95 Prozent. Hier müssen die Wettbewerbsbehörden wie das Bundeskartellamt und die EU-Kommission ein waches Auge haben, dass Google seine Marktstellung nicht ausnutzt und Wettbewerber benachteiligt werden.

 

Gersmann: Wir googeln doch alle, wie soll das gehen?

Billen: Den europäischen Behörden war es auch möglich, Microsoft zu einer Strafe zu verdonnern, weil es sich auf dem Markt der Internet-Browser wettbewerbswidrig verhalten hat.

 

Gersmann: Kann Deutschland alleine überhaupt etwas ausrichten?

Billen: Im Internet kann Deutschland allein wenig machen. Die Bundesregierung sollte sich darauf konzentrieren, die EU-Datenschutzreform voranzubringen.

 

Gersmann: Die hat in der bisherige Innenminister Hans-Peter Friedrich immer ausgebremst.

Billen: Aber seit der Spähaffäre gibt es ein neues Bewusstsein. Mit der Reform sollen Verbraucher mehr Kontrolle über ihre Daten bekommen. Es soll auch einfacher werden, Daten aus sozialen Netzwerken zu löschen. Was wir erreichen müssen: Diese europäischen Regeln sollten von allen Anbietern eingehalten werden, selbst wenn deren Server in den USA stehen.

 

Gersmann: Was muss sich hierzulande ändern?

Billen: Die Bundesregierung sollte in Forschung investieren. Eine europäische Technologieoffensive für freie Software könnte etwa die Entwicklung alternativer Suchmaschinen fördern.

 

Gersmann: Was kann jeder selber tun, wenn die Politik nicht vorankommt.

Billen: Verbraucher sollten nur die nötigsten Daten preisgeben und verschiedene Anbieter nutzen. Ich kann unter Pseudonym surfen und möglichst sichere Passwörter wählen, in denen nicht der Vorname der Frau vorkommt. Die Risiken auf Null setzen, kann ich nicht.

 

Kasten:

Digitale Welt: Erste Vereinbarungen von CDU und SPD

Anbieter offener W-Lan-Netze sollen nicht länger dafür haften, wenn Nutzer über diesen Zugang Straftaten im weltweiten Netz begingen.

Ab 2018 soll jeder Haushalt in Deutschland schnelles Internet haben mit Übertragungsraten von 50 Megabit pro Sekunde.

Die Netzneutralität soll als Regierungsziel festgeschrieben und verbindlich definiert werden. Die Überwachung dieser Regelungen soll die Bundesnetzagentur übernehmen.

 

Bio:

Gerd Billen, 58, ist Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv). Nach seinem Studium der Ernährungswissenschaften in Bonn arbeitete er zunächst als freier Journalist. 1993 wurde er Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes, von 2005 bis 2007 leitete er bei der Otto-Gruppe den Bereich Umwelt- und Gesellschaftspolitik. Billen googelt und ist auch bei Facebook.

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