Soziale und unsoziale Kapitalisten

Gute Unternehmer streben nicht nach größtmöglichem Gewinn

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Von Hannes Koch

20. Dez. 2008 –

Zur aktuellen Finanzkrise hat Schokoladen-Erbe Alfred Ritter eine klare Meinung. Als Ursache des Crash betrachtet er nicht zuletzt die zu hohen Gewinnerwartungen der Banken. „Es gibt ein Renditestreben, das nur darauf baut, jemanden über´s Ohr zu hauen“, sagt der Chef der Firma Ritter Sport. „Wenn der Markt um fünf Prozent wächst, das Unternehmen aber 25 Prozent Gewinn anstrebt, muss es diesen Profit irgendwem abnehmen“. Weil sie andere Marktteilnehmer schädige, sei eine solche Geschäftsstrategie weder nachhaltig noch sozialverträglich, meint Ritter.

Eine derart zugespitze Position ist unter Unternehmern selten zu hören. Und doch beschreibt sie treffend den Unterschied zwischen zwei Typen von Managern. Die einen dominieren das Wirtschaftsgeschehen und prägen die Logik des grenzen- und schrankenlosen Marktes. Die anderen sind in der Minderheit und vertreten eine zivilisierte Variante des Kapitalismus. Die einen unternehmen alles, um möglichst hohe Renditen zu erreichen. Die anderen machen ebenfalls Gewinn, sonst gäbe es ihre Unternehmen nicht mehr, doch das Renditeziel nimmt bei Ihnen keine isolierte Stellung ein.

Nennen wir diesen zweiten Unternehmer-Typ den „sozialen Kapitalisten“. Hin und wieder, und das macht den Unterschied aus, ist er bereit, auf kurzfristige Maximalprofite zu verzichten. Er lässt es zu, dass andere Ziele wie ökologischer Fortschritt und sozialer Frieden seinen Gewinn schmälern.

Schokoladenproduzent Ritter beispielsweise baute vor Jahren ein umweltfreundliches Blockheizkraftwerk neben seine Fabrik, um Strom und Wärme gleichzeitig zu erzeugen. Es kostete ihn ziemlich viel Geld und verringerte seinen Gewinn. Wegen der stark gestiegenen Energiepreise, die die Firma ohne Eigenerzeugung zahlen müsste, spart das Kraftwerk Ritter heute allerdings Geld. Der Gewinnverzicht von einst hat sich in einen langfristigen Vorteil verwandelt.

Ähnlich denkt Michael Otto, der Mehrheitsinhaber und Aufsichtsratschef des Hamburger Handelshauses Otto Gruppe. Auf seine Initiative beschlossen die großen deutschen Textilimporteure 1996, ihren weltweiten Zulieferfirmen bestimmte soziale Mindeststandards abzuverlangen. Otto war unter anderem daran gelegen, die Kinderarbeit in Asien, Afrika und Lateinamerika zurückzudrängen. Auf die sozialen Qualitätskriterien der Produkte zu verzichten, wäre Otto billiger gekommen. Aber er ist sich sicher: „Heute mag man die soziale und ökologische Qualität als Zusatznutzen verstehen. Morgen wird sich kein Produkt mehr ohne diesen Standard verkaufen lassen.“ Auch hier hält eine langfristige Orientierung das kurzfristige Renditestreben in Grenzen.

Die Unterscheidung zwischen unsozialen und sozialen Kapitalisten ist natürlich zugespitzt. Denn selbst die vermeintlich asozialen Kapitalisten halten sich an Gesetze und oft auch Tarifverträge. Sie sponsern Opernhäuser und Kindergärten. Aber in ihrem Kerngeschäft hat das Ziel der maximalen Rendite doch die weitaus dominierende Rolle eingenommen. Beispiele dafür sind die großen deutschen Autohersteller, die jahrzehntelang unökologische Fahrzeuge verkauft haben, obwohl sich die epochalen Verwerfungen des Klimawandels bereits ankündigten. Die Entwicklung benzinsparender und abgasarmer Motoren war ihnen schlicht zu teuer.

Ein anderes Beispiel sind die transnational tätigen Großbanken. Auch sie zahlen oft überdurchschnittliche Löhne, kümmern sich um die Familien ihrer Mitarbeiter und geben zentimeterdicke Broschüren über ihre „Corporate Social Responsibility“, ihre gesellschaftliche Verantwortung, heraus. Und doch haben sie eine Eigenkapitalrendite von 30 Prozent angestrebt, die Welt mit extrem risikoreichen Wertpapieren überschwemmt und die erste globale Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren ausgelöst. Wer die Gesellschaft, in der er lebt und Geld verdient, dermaßen schädigt, ist wohl eher ein unsozialer, als ein sozialer Kapitalist.

Die Finanzkrise zeigt, dass eine regellose Wirtschaft dazu neigt, aus dem Ruder zu laufen. Die Konsequenz für die Politik ist deshalb eindeutig: Ein maßvoller Rahmen muss die Ökonomie in sinnvolle Bahnen lenken. Die Politik sollte ihre Gestaltungsaufgabe wahrnehmen. Nur so lässt sich zuvilisiertes Wirtschaften durchsetzen.

Gewiss betreiben Ritter, Otto und Werner ihre vergleichsweise sozialverträgliche Unternehmenspolitik selbstständig. Gesetze haben sie nicht dazu verpflichtet. Allerdings könnten bessere Gesetze dafür sorgen, dass es mehr soziale Kapitalisten gibt.

Gegen die Banken, die die Finanzkrise ausgelöst haben, scheint die Politik nun durchgreifen zu wollen. Die Finanzminister der wichtigsten Industriestaaten planen, schärfere Regulierungen einzuführen. Geldinstitute müssten dann künftig bei risikoreichen Geschäften mehr Eigenkapital einsetzen und sämtliche Transaktionen in ihren Bilanzen ausweisen. Beides würde sie vorsichtiger machen und ihre Gewinne reduzieren.

Ebenso könnte die Politik eine umfassende soziale und ökologische Unternehmenspolitik fördern. Schulen kaufen Computer, die Polizei erwirbt Fahrzeuge, die Feuerwehr Uniformen: Würden die öffentlichen Aufträge, die in Deutschland rund 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, an soziale und ökologische Kriterien geknüpft, entstünde ein Schub für zivilisiertes Wirtschaften. Nur Firmen kämen in den Genuss dieser Aufträge, die bestimmte Mindeststandards erfüllten. Das könnte dazu beitragen, aus der der Minderheit der sozialen Kapitalisten eine Mehrheit zu machen.

 

Andrew Murphy

Der 1968 geborene Sohn einer deutschen Mutter und eines irischen Vaters ist einer der beiden Chefs der Investmentfirma Murphy&Spitz in Bonn. Unternehmen, deren Aktien gekauft werden, dürfen nichts mit dem Militär zu tun haben. Sie sollen nicht an der Atomwirtschaft beteiligt sein, nicht mit Tieren experimentieren, keine Kinderarbeit praktizieren und die Menschenrechte achten. An den Aktiendepots und Fonds der Bonner Investoren sind etwa 2.000 Privatanleger beteiligt. Über fast 60 Millionen Euro Kapital verfügt diese Anlegergemeinschaft mittlerweile.

 

Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell

Der Graf (Jahrgang 1941) ist Inhaber und Chef der Schreibwaren-Firma Faber-Castell in Stein bei Nürnberg. Das Unternehmen betreibt eine Pinienplantage in Brasilien, wo die Bäume wachsen, deren Holz zu Stiften verarbeitet wird. Raubbau am Regenwald wird so vermieden. Außerdem schloss die Firma einen Vertrag mit der Gewerkschaft IG Metall, der soziale Mindeststandards in allen Faber-Castell Werken weltweit festschreibt. Dazu gehören Mindesturlaub und Mindestbezahlung.

 

Götz Werner

Götz Werner (Jahrgang 1944) ist Eigentümer der zweitgrößten deutschen Drogerie-Kette. Der Kenner der klassischen deutschen Literatur dichtete einen Goethe-Vers um zum Werbespruch für seinen dm-drogerie markt: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“. Was merkwürdig anmutet, hat einen sinnvollen Kern. Werner verweigert sich der Strategie des Lohndumpings, die die Branche der Drogerie-Discounter prägt. Er zahlt seinen Verkäuferinnen angemessene Löhne und ermöglicht ihnen Mitsprache im Unternehmen.

 

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