Sparmaßnahmen statt Grundrechte

Griechenland verbietet Tarifverhandlungen. Verstoß gegen die europäische Grundrechte-Charta

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Von Hannes Koch

17. Feb. 2012 –

Griechenland steht das Wasser bis zum Hals. Wirtschaftliche Lage und Stimmung der Bevölkerung sind katastrophal. Der europäische Druck zu weiteren Sanierungsschritten ist enorm. Dabei werden nicht einmal die eigentlich unveräußerlichen Sicherheiten der EU-Charta der Grundrechte geschont. So hat das griechische Parlament gerade die freien Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern vorläufig verboten – eine Maßnahme, die in Deutschland kaum vorstellbar ist.


Für kommenden Montag haben die Euro-Staaten einen neuen Termin anberaumt, um eine Lösung der griechischen Krise zu finden. Eine entsprechende Sitzung in der vergangenen Woche wurde abgesagt. Ob es nun zum Durchbruch kommt, steht in den Sternen. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ist mit den Sparzusagen Griechenlands noch nicht so zufrieden, dass sie bereit wäre, weitere Hilfsmilliarden freizugeben.


Zu den Sanierungsschritten, die Regierung und Parlament in Athen in der vergangenen Woche bereits beschlossen haben, gehört die Aussetzung von Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden. Neue Tarifverträge, die höhere Löhne beinhalten könnten, sind damit bis auf Weiteres nicht mehr möglich. Dieses Verbot gilt allerdings nur für kollektive Lohnvereinbarungen. Individuelle Verträge zwischen einzelnen Arbeitnehmern und Firmen sind weiter gestattet.


Die Maßnahme soll dazu dienen, das Lohnniveau in der griechischen Wirtschaft insgesamt zu senken. Unter anderem die Bundesregierung drängt darauf, die Löhne zu kürzen, um die griechischen Unternehmen „wettbewerbsfähiger“ zu machen. Soll heißen: Wenn die Betriebe geringere Lohnkosten haben, können sie ihre Produkte leichter auf dem Weltmarkt verkaufen. Dadurch nähme der griechische Staat mehr Geld ein und bräuchte weniger Kredite. Ein Ziel der Troika ist es unter anderem, die griechischen Löhne so lange einzufrieren, bis die Arbeitslosigkeit in dem Mittelmeerland auf rund zehn Prozent zurückgegangen ist.


Auf deutsche Verhältnisse übertragen würde ein Schritt wie der griechische bedeuten, dass der Bundestag ein Gesetz verabschiedete, mit dem er beispielsweise der IG Metall und dem Branchenverband Gesamtmetall verböte, die nächste Tarifrunde zu eröffnen. Freie Lohnverhandlungen gehören zum Grundbestand der Demokratie. Deswegen ist der Deutsche Gewerkschaftsbund äußert skeptisch, was die griechische Sanierungsstrategie betrifft.


So sagt Thorsten Schulten von der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung: „Dass der durch einen nationalen Tarifvertrag festgelegte Mindestlohn in Griechenland gekürzt wird und außerdem die Tariflöhne nicht mehr frei verhandelt werden können, sind eindeutige Eingriffe in die Tarifautonomie. In Bezug auf die EU-Charta der Grundrechte kann man dies als Rechtsbruch qualifizieren.“ Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthält das „Recht auf Kollektivverhandlungen“ im Artikel 28. Damit gehören freie Tarifverhandlungen zu den Rechtsgütern, die eigentlich niemals beschnitten werden dürfen.


Info-Kasten 1

Grundrecht auf Tarif

Im Artikel 28 der EU-Grundrechte-Charta heißt es: „Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben das Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteildigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“


Info-Kasten 2

Schulden

Trotz Umschuldung und Sparmaßnahmen sinken die Schulden Griechenlands bis 2020 nicht so stark, wie EU, EZB und IWF anpeilen. Das berichtet der Spiegel aus Kreisen des EU-Rats. Deshalb sei es unklar, ob die Sanierungsverhandlung am kommenden Montag zum Erfolg führe. Ein Teil der EU-Finanzminister stelle sich deshalb auf die bevorstehende Zahlungsunfähigkeit des Mittelmeerlandes ein.

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