Stehen Wohnungsunternehmen vor der Enteignung?

Am kommenden Samstag startet in Berlin ein Volksbegehren. Gesellschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen sollen enteignet werden. Die Experten sind uneins über die Rechtmäßigkeit.

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Von Wolfgang Mulke

03. Apr. 2019 –

Zwei Themen sorgen in der Hauptstadt bei fast allen Bewohnern für Stress und Sorgen. Nirgendwo sonst in Deutschland stehen Autofahrer länger im Stau, ist der Umgang miteinander im Verkehr rauer. Und nirgendwo steigen die Mieten stärker, mit bisweilen grotesken Auswüchsen. So berichtete der örtliche Tagesspiegel kürzlich von Staffelmietverträgen, die für Wohnungen normaler Größe eine Steigerung von gut 2.000 Euro derzeit auf mehr als 6.000 Euro oder sogar 8.000 Euro monatlich in den nächsten 15 Jahren vorsieht. Der jährliche Bevölkerungszuwachs von über 40.000 Einwohnern macht aus Wohnraum trotz Bauboom ein anhaltend knappes Gut.

Die damit verbundenen Ängste der Berliner könnten nun ein bundesweit einmaliges Experiment begünstigen. Am kommenden Wochenende startet in der Hauptstadt ein Volksbegehren. Ziel ist die Enteignung aller Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen durch das Land Berlin. „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, lautet der Titel des Aufstands von mehreren Mieterinitiativen. "Die Idee entstand aus der langen, leidvollen Erfahrung mit diesem Unternehmen“, sagt der Sprecher des Volksbegehrens, Rouzbeh Taheri, „wir haben vieles versucht und kaum Verbesserungen erreicht.“

Die Deutsche Wohnen ist mit einem Besitz von rund 100.000 Wohnungen an der Spree der Hauptgegner. Die Immobilien hat das Unternehmen vor allem vom Land Berlin erworben, als es – finanziell am Abgrund stehend – einen großen Teil des öffentlichen Wohnungsbestands privatisierte. Es steht in dem Ruf, die Instandhaltung der Gebäude so lange zu verzögern, bis sie komplett modernisiert werden müssen. Diese Kosten lassen sich dann auf die Mieter umwälzen. So steht die Deutsche Wohnen als Stellvertreter für die an hohen Gewinnen interessierten Wohnungsinvestoren in Berlin am Pranger. Insgesamt wären wohl ein knappes Dutzend Unternehmen von einer Enteignung betroffen. Genau weiß dies niemand.

Taheri beruft sich mit der Initiative auf das Grundgesetz, das Enteignungen zulässt. Doch die Meinungen liegen weit auseinander. Insbesondere der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) hält das Vorhaben für aussichtslos. „Eine Enteignung wäre weder mit dem Grundgesetz noch der Berliner Landesverfassung vereinbar“, sagt BBU-Vorstand Maren Kern. Ein Gutachten im Auftrag des Verbands stützt diese These. Verfasst hat es der Rechtswissenschaftler Helge Sodan. Die Mieterinitiativen sprechen von einem Gefälligkeitsgutachten und verweisen ihrerseits auf eine Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag, die zu einem anderen Ergebnis gekommen sei.

In der Stadt selbst stößt das Volksbegehren auf Widerhall. „Die Meinungsumfragen weisen darauf hin“, erläutert Taheri, „dass das Volksbegehren mehrheitsfähig ist.“ Es sei ein Akt der Notwehr. Wie stark der Rückhalt ist, werden die kommenden Monate zeigen. In einer ersten Phase benötigt die Initiative 20.000 Stimmen, um überhaupt angenommen zu werden. In der zweiten Stufe müssen 170.000 Unterschriften zusammen kommen. Dann wird das Volksbegehren zu einem Volksentscheid, der innerhalb von vier Monaten abgestimmt werden muss. Dann reicht die einfache Mehrheit für die Annahme des Gesetzes.

Selbst wenn das Volksbegehren erfolgreich ist, müsste das Berlin noch eine gewaltige Klippe überwinden. Das Land taxiert die fälligen Entschädigungszahlungen bei einer Enteignung auf bis zu 38 Milliarden Euro, wenn Marktpreise bezahlt werden müssten. „Es wäre unbezahlbar“, weiß auch Taheri, aber das Grundgesetz lasse Ausgleichszahlungen unterhalb des Marktwertes zu. Die Berliner Politik ist gespalten. Die CDU lehnt die Pläne ab. Die Linke befürwortet das Volksbegehren und die SPD ist sich nicht einig. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller will keine Enteignung. In der Partei gibt es hingegen Sympathien. So hat die SPD auf einem Parteitag am vergangenen Wochenende eine Festlegung erst einmal auf den Herbst vertagt.

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