Steuerbescheid vom Finanzcomputer

Millionen Arbeitnehmer sollen automatisierte Steuerbescheide erhalten. Gesetzentwurf der Bundesregierung. Steuerhinterziehung werde einfacher, kritisieren die Grünen und die Gewerkschaft Verdi

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Von Hannes Koch

08. Dez. 2015 –

Papierstapel und Aktendeckel, bis zur Decke in Regalen getürmt – so sieht es auch Jahrzehnte nach dem Beginn des Computerzeitalters in den Finanzämtern aus. Die Beamten quälen sich durch Wirtshausquittungen und Kaufbelege im Wert von manchmal 5,85 Euro. Doch bald soll die Ära dieser Zeitverschwendung zu Ende gehen, wünscht die Bundesregierung. Das Ziel: Millionen Arbeitnehmer fügen ihren Steuererklärungen keine Papierbelege mehr bei und erhalten automatisierte Steuerbescheide aus den Finanzamtcomputern – ohne dass dort ein Beamter Hand anlegt.

 

Am Mittwoch beschloss das Kabinett den Gesetzentwurf zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens. „Schneller, einfacher, effizienter“, lautet die Devise. 2017 soll es in Kraft treten, ab 2022 die Technik in möglichst vielen Finanzämtern funktionieren. Dann könnten im Prinzip alle rund 40 Millionen Beschäftigten ihre Steuererklärungen am häuslichen Rechner ausfüllen. Ebenfalls elektronisch bekämen sie die Steuerbescheide zurück. Die automatisierte Berechnung und Entscheidung verkürzt die Bearbeitungszeit, verspricht die Regierung.

 

Für Bürger, die dem Verfahren misstrauen, ist freilich die Möglichkeit vorgesehen, eine persönliche Bearbeitung durch Beschäftigte der Finanzverwaltung zu beantragen. Grundsätzlich will die Regierung ihre Beamten und Angestellten in den Finanzämtern aber von der Belastung mit den sogenannten Massenverfahren befreien. Nur bei offensichtlich unplausiblen Angaben durch die Steuerpflichtigen und im Falle von Stichproben sollen die Beamten persönlich tätig werden. Ein Motiv der Regierung dabei ist es, teure Steuerexperten durch billige Computer zu ersetzen.

 

Außerdem, so hofft das Bundesfinanzministerium, könnten sich die verbleibenden Beamten dann auf die komplizierten und lukrativen Steuerfälle konzentrieren, die hohe Einnahmen für den Staat erbringen. Deshalb sollen auch Selbstständige und Unternehmen vorläufig nicht in das automatisierte Verfahren einbezogen werden. Erst später, wenn die Datensysteme gut laufen, könnten auch diese Steuerpflichtigen automatisierte Bescheide erhalten.

 

Steuerexpertin Lisa Paus von den Grünen im Bundestag kritisiert das Vorhaben: „Es höhlt die Gleichmäßigkeit der Besteuerung aus.“ Sie befürchtet, dass mehr Steuerhinterzieher als heute ungeschoren davonkommen, weil sie geschickt genug sind, keine widersprüchlichen Angaben zu machen. Die Grünen sind auch deshalb argwöhnisch, weil zur Gruppe der Arbeitnehmer, die keine Papierbelege mehr einreichen müssen, auch Manager mit hohen Einkommen, Kapitalbesitzer und Erben großer Vermögen gehören können. In diesen Gesellschaftskreisen ist die Hinterziehung großer Steuersummen verbreitet, wie die hohe Zahl der Selbstanzeigen während der vergangenen Jahre belegte.

 

Aus dem Finanzministerium heißt es dazu, man werden Datensysteme entwickeln, die automatische Risikoanalysen der Steuererklärungen durchführten. Betrugsfälle ließen sich damit aufspüren und verstärkte Steuerhinterziehung vermeiden. Das Risikomanagement müsse allerdings konkretisiert, sowie zwischen Bund und Ländern abgestimmt werden, bemängelte der Bundesrechnungshof in einer aktuellen Stellungnahme.

 

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bezweifelt, dass der Aufbau, die Pflege und Kontrolle des automatischen Systems ohne zusätzliches Personal zu bewältigen ist. Derzeit fehlten bundesweit rund 11.000 Stellen, schätzt Verdi-Experte Klaus Dieter Gössel. Dies entspreche dem Personal von „40 großen Finanzämtern“. Angesichts diesen Personalmangels sei die Gerechtigkeit des Steuervollzugs auch mit der geplanten Modernisierung nicht zu gewährleisten. Das Vorhaben der Bundesregierung hält die Gewerkschaft deshalb für „verfassungswidrig“.

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