Tabakatlas: Berliner und Bremer rauchen am meisten

Trotz hoher Preise und erheblicher Gesundheitsrisiken greift jeder Vierte regelmäßig zur Zigarette. Anti-Raucher-Kampagnen halten vor allem Kinder und Jugendliche vom Tabakkonsum ab. Erwachsene hindert das kaum.

Teilen!

10. Nov. 2015 –

Der typische Dauerraucher Deutschlands ist männlich, zwischen 40 und 49 Jahre alt und arbeitet als Möbelpacker oder Müllwerker. Außerdem wohnt er ziemlich sicher in Berlin, Bremen oder Sachsen-Anhalt. Bei den Frauen qualmen besonders gerne Detektivinnen, Berufskraftfahrerinnen oder Lackierinnen. Ingenieurinnen oder Apothekerinnen greifen deutlich seltener zur Zigarette. Diese Daten gibt der neueste Tabakatlas Deutschland preis, den das Deutsche Krebsforschungszentrum aufgelegt hat.


Fünf Jahre lang hat Martina Pötschke-Langer an der zweiten Auflage des Atlasses gearbeitet. „Die Zigarette ist und bleibt ein Giftgemisch“, fasste die Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention und des Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle der Weltgesundheitsorganisation die Ergebnisse zusammen. Kein anderes Land in der EU hat sich die Mühe gemacht, die Raucherdaten zusammenzutragen. International gibt es der Krebsexpertin zufolge nur in Taiwan ein ähnliches Werk.


Aufgeschreckt hat Pötschke-Langer vor allem die hohe Zahl an Todesfällen verursacht durch Rauchen. Jedes Jahr sterben rund 121.000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums. Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen, Tuberkulose, Diabetes, Erektionsstörungen: Die Liste der Raucherkrankheiten ist lang.


Jeder vierte Erwachsene in Deutschland raucht regelmäßig, etwa jeder dritte Mann und jede fünfte Frau. Männliche Raucher sterben auch doppelt so oft durch den Tabakkonsum wie Frauen. Die meisten Todesfälle gibt es in Bremen und Berlin. „Rauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko“, kommentierte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU) den Tabakatlas. „Hier geht es um die Wurst - aber im übertragenen Sinne.“


Weit über 60 Prozent der Raucher versuchen wenigstens einmal im Leben mit dem Rauchen aufzuhören. Bei wie vielen es tatsächlich klappt, ist nicht erfasst. Präventionskampagnen scheinen laut Atlas vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu wirken. Seit 2009 sank die Quote hier stetig. Von den Elf- bis 17-jährigen rauchen insgesamt nur noch zwölf Prozent. Viele von ihnen steigen aber auf E-Zigaretten oder E-Shishas um. Rund ein Drittel der Zwölf- bis 17-Jährigen hat bereits Wasserpfeife geraucht, und ein Viertel hat E-Zigaretten ausprobiert.


Den Angaben nach teilen sich vier Hersteller mehr oder minder den deutschen Zigarettenmarkt. Zu den Markführern zählen Philip Morris Germany, die Reemtsma Cigarettenfabriken, British American Tobacco Germany und Japan Tobacco International Germany. Allein 2014 wurden rund 80 Milliarden Zigaretten verkauft. In den 1990er Jahren erreichte die Branche Spitzenwerte von mehr als 146 Milliarden Stück pro Jahr. Allein der Verkauf von Zigaretten spült viel Geld in die Kassen der Tabakkonzerne. Das Statistische Bundesamt geht von Umsätzen in Höhe von 20,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr aus.


Auch der Staat verdient nicht schlecht am Verkauf der Zigaretten. Der Steueranteil macht etwa drei Viertel des Preises aus. 2014 flossen darüber etwa 12,26 Milliarden Euro in den Staatshaushalt. Krebsexpertin Pötschke-Langer würde die Steuersätze gerne nach oben schrauben und damit die Packungspreise am liebsten verdoppeln. Nach ihrer Rechnung kostet das Rauchen Staat und Wirtschaft jedes Jahr rund 80 Milliarden Euro. Es sind nicht nur die Gesundheitskosten, die zu Buche schlagen, sondern auch die Firmen, die unter den Rauchern leiden. Beispielsweise würden Raucherpausen und Frühverrentungen laut Pötschke-Langer mehr als 50 Milliarden Euro im Jahr ausmachen.


Auch die Drogenbeauftragte Mortler würde gerne die Steuern auf Tabakprodukte erhöhen. Schließlich hält sie die Abgabe für ein „gutes Instrument“, um die Zahl der Raucher in Deutschland zu reduzieren. Doch sie weiß auch, dass ein solcher Vorstoß keine realistischen Chancen hat. Denn die Tabaklobby wird sich zu wehren wissen. Sie will lieber bei den Vorschlägen bleiben, bei denen sie die „Früchte ernten kann“.


Mortler will vor allem mehr Anti-Raucher-Kampagnen starten. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat in diesem Jahr 1,725 Millionen Euro für die Tabakprävention ausgegeben. 2016 steigt der Etat für diesen Posten auf über zwei Millionen Euro. Außerdem hofft die Drogenbeauftragte auf die baldige Umsetzung der EU-Tabakproduktrichtline. Zuständig dafür ist Mortlers Parteikollege, Bundesernährungsminister Christian Schmidt. Teil des Pakets ist auch ein Verbot von Außenwerbung für Tabakprodukte. Bis Mai 2016 hat die Bundesregierung Zeit, die EU-Richtlinie in nationales Recht zu gießen. Laut Mortler hängt es nun am Bundeskanzleramt, den Entwurf auf den Weg zu bringen: „Worauf warten wir eigentlich noch?“

« Zurück | Nachrichten »