Textilindustrie will bessere Löhne zahlen

Firmen und Kritiker vereinbaren sozial-ökologische Standards für die Textilproduktion. Ob das Verbraucher-Siegel kommt, ist unklar

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Von Hannes Koch

06. Okt. 2014 –

Die Beschäftigten in den Zulieferbetrieben deutscher Textilhändler sollen existenzsichernde Löhne erhalten. Für hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter in Bangladesch, Pakistan, China und anderen Produktionsländern wäre dies eine wesentliche Verbesserung. Das ist ein zentraler Punkt im Aktionsplan für nachhaltige Textilien, den Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) mit Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften erarbeitet hat.

 

Gestartet hat Müller seine Initiative als Reaktion auf den Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Dhaka, Bangladesch, im April 2013. In dem teilweise illegal ausgebauten Komplex waren über 1.100 Beschäftige gestorben, von denen manche auch für deutsche Textilketten gearbeitet hatten.

 

Nun sagt Lorenz Berzau von der Business Social Compliance Initiative (BSCI) in Brüssel, einer Firmenvereinigung für Sozialstandards: „Ich halte es für richtig, wenn sich unsere Initiative im Aktionsbündnis engagiert“. Rund 1.400 Unternehmen sind Mitglieder bei BSCI. Ähnliches ist von der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE) zu hören. Unter anderem Adidas, H&M, C&A, der TÜV, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Kampagne für Saubere Kleidung (CCC) beteiligten sich daran, den Text auszuarbeiten. „Der Aktionsplan entspricht in weiten Teilen dem, was wir für richtig halten", so Sandra Dusch Silva von der Christlichen Initiative Romero, die die CCC mitträgt.

 

Am Donnerstag kommender Woche soll das Bündnis offiziell gegründet werden. Bis dahin sollen sich die Organisationen und Firmen entscheiden, ob sie unterschreiben. Es handelt sich um eine freiwillige Vereinbarung. Sie könnte jedoch Standards setzen, an dem sich die Branche künftig messen lassen muss.

 

Den Kritikern ist es erstmals gelungen, den Begriff des „existenzsichernden Einkommens“, das sogenannte „living wage“, zur Grundlage zu machen. Das bedeutet: Beschäftigte in den Zulieferfirmen sollen nicht mit den meist niedrigen, staatlich festgesetzten Mindestlöhnen abgespeist werden, sondern haben künftig einen Anspruch auf Bezahlung, die ihren Familien die Finanzierung der Grundbedürfnisse, der Ausbildung der Kinder und die Altersvorsorge ermöglicht. Diesen Existenzlohn sollen die Arbeiter für die „reguläre Arbeitszeit“ erhalten, nicht erst unter Einbezug der Überstunden. Wie hoch ein solches Einkommen sein muss, steht nicht in dem neuen Standard – darüber wird es Auseinandersetzungen geben.

 

Geeinigt haben sich die Beteiligten auch darauf, dass maximal 48 Stunden pro Woche gearbeitet werden soll, plus höchsten 12 Überstunden. Gegenwärtig sind auch 70 oder 80 Stunden wöchentlich nicht ausgeschlossen. Die Unterzeichner sichern zu, die Regeln in der Textilproduktion bis 2020 umzusetzen, in der Erzeugung von Baumwolle bis 2024. Enthalten sind auch ökologische Verbesserungen und Mechamismen zur Überprüfung.

 

Nicht durchsetzen konnte Müller bisher sein Ziel, bis Ende des Jahres ein neues Textilsiegel einzuführen. Im Idealfall würde dies für die Verbraucher sichtbar machen, ob die Kleidung, die sie in den Geschäften kaufen, dem Standard entsprechend produziert wurde. Dagegen wehren sich viele Unternehmen und einige Verbände.

 

„Statt einer freiwilligen, deutschen Vereinbarung sollte Minister Müller eine verpflichtende, europäische Lösung anstreben“, kritisierte Renate Künast (Grüne), „sonst können sich die Unternehmen davonstehlen.“ Die Vorsitzende des Verbraucherausschusses im Bundestag sagte: „Wir brauchen ein europäisches Sozial- und Öko-Siegel als Orientierung für die Verbraucher. Eine Basis dafür muss sein, dass alle Unternehmen in der EU regelmäßig offenlegen, in welchen Zulieferbetrieben sie zu welchen Bedingungen produzieren lassen.“

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