„Trägheit gefährdet die Zukunft“ der Industrie

Hiesige Unternehmen würden zu wenig Geld investieren, um ihre Anlagen zu modernisieren, analysiert das DIW. Industriekonferenz bei Wirtschaftsminister Gabriel

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Von Hannes Koch

18. Feb. 2016 –

Die deutsche Industrie erweckt den Eindruck, in gutem Zustand zu sein. Die Gewinne fließen in vielen Firmen reichlich, deutsche Produkte sind auf den Weltmärkten gefragt, die Arbeitsplätze erscheinen sicher, und die Löhne steigen. Manche Ökonomen stellen allerdings in Frage, ob das in einigen Jahren auch noch so sein wird. Zu ihnen gehört Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin: „Das verarbeitende Gewerbe in Deutschland investiert zu wenig – im Vergleich zu Staaten wie den USA und Frankreich.“

 

Die Firmen würden nicht genug Geld in moderne Maschinen, effektivere Fertigungsverfahren und neue Produkte stecken, sagt Gornig. Langsam aber sicher veralte damit der Anlagenpark in vielen hiesigen Fabriken. „Die Investitionsschwäche gefährdet damit die künftige Wettbewerbsfähigkeit“, so Gornig. In einigen Jahren könne die deutsche Industrie dann unter ihren Möglichkeiten bleiben, weniger Wachstum und Arbeitsplätze generieren.

 

Gornig ist nicht der Einzige, der sich Gedanken darüber macht. Im Jahresbericht 2016 von SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel steht, dass die Bruttoanlageinvestitionen im vergangenen Jahr leicht rückläufig waren. Am Donnerstag lud Gabriel nun zur Konferenz „Zukunftsperspektive Industrie 2030“ nach Berlin. Regierung, Unternehmensverbände und Gewerkschaften veröffentlichten dabei eine Erklärung, in der es heißt: „Europa braucht mehr Investitionen, sowohl von öffentlicher als auch von privater Seite.“

 

DIW-Ökonom Gornig hat Zahlen, die allerdings nur bis 2013 reichen. Demnach sank der Wert des Nettoanlagevermögens im verarbeitenden Gewerbe gegenüber 2007 leicht ab. Das heißt, es wurde weniger Geld in Maschinen, Fahrzeuge und Bauten sowie sonstige Anlagen investiert, als zum Erhalt ihres Wertes notwendig wäre – von Wertsteigerung gar nicht zu reden. In den USA sah es dagegen deutlich anders aus. Dort nahm das Anlagevermögen im Vergleich zu 2007 um sieben Prozent zu. Auch Frankreich modernisierte seine Industrie mehr als Deutschland, der Wert wuchs um ein Prozent.

 

Was ist hier los? „Die deutschen Unternehmen investieren zu wenig in ihren hiesigen Kapitalstock, stecken allerdings viel Geld in Standorte in anderen Staaten“, sagt der DIW-Wissenschaftler. Man kann es auch „Globalisierung“ nennen: In Deutschland ansässige Konzerne bauen ihre Fabriken vor allen dort aus, wo die Nachfrage stärker wächst als in Europa – zunehmend in Asien, Afrika und Lateinamerika.

 

Erschwerend macht sich auch die europäische Krise bemerkbar, die heute noch für niedrige Wachstumsraten in vielen EU-Mitgliedern sorgt. Außerdem komme ein deutscher Spezialeffekt hinzu, meint Gornig: „Erfolg führt zu Trägheit. Sie ist eine Gefahr für die Zukunft.“ Damit spricht der Ökonom den relativen deutschen Wirtschaftsboom an, der scheinbar automatisch steigende Exportüberschüsse beschert. Einen größeren Teil der Gewinne müssten die hiesigen Firmen in neue Verfahren investieren, anstatt sie schlicht zu verfrühstücken, lautet die Botschaft.

 

Christian Rammer vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim sieht das weniger pessimistisch. Er verweist „auf die Ausgaben für Forschung und Entwicklung der deutschen Wirtschaft, die 2013 mit fast zwei Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreichten“. Auch die Investitionen der Industrie nahmen demnach zu. Rammer analysiert hier eher eine „Verschiebung“. Die Unternehmen würden vielleicht weniger Geld in Maschinen, dafür aber mehr in die Entwicklung neuer Produkte, die Digitalisierung ihrer Produktion, Ausbildung und das Management stecken. DIW-Kollege Gornig bleibt trotzdem bei seinem Befund: Wenn man die höheren Forschungsausgaben ins Verhältnis setze zum stagnierenden Anlagevermögen, ergebe sich ja erst recht ein gefährlicher Wertverlust des Maschinenparks.

 

Bei der Industriekonferenz formulierten Wirtschaftsministerium, Verbände und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) das gemeinsame Ziel der „Re-Industrialisierung“ Europas. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung müsse wieder auf 20 Prozent steigen, industrielle Fertigung bilde das Rückgrat einer stabilen Wirtschaftsstruktur.

 

Gabriel und seine Mitstreiter forderten von der EU, ausreichende Summen als Zuschüsse für Forschung und Investitionen in Unternehmen zur Verfügung zu stellen. EU-Gesetze dürften die Industrie nicht zu sehr behindern. Beispielsweise solle es weiterhin starke Rabatte für die Ökostrom-Umlage geben, wenn Fabriken selbst Elektrizität produzieren. Beim europäischen Emissionshandel fordern Minister, Verbände und Gewerkschaften sogar, dass den Firmen größere Mengen an Verschmutzungszertifikaten zugestanden werden. Außerdem soll es mehr Ausnahmen für europäische Betriebe geben, die im internationalem Wettbewerb mit Konzernen aus anderen Staaten stehen, wo weniger strenge Klimaschutzbestimmungen gelten.

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