„Überhöhte Rendite verursacht Schäden“

Ritter-Sport-Inhaber Alfred Ritter über die Finanzkrise, übersteigerte Gewinnerwartungen und Bio-Schokolade

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Von Hannes Koch

28. Nov. 2008 –

Hannes Koch: Als Inhaber einer der größten Schokoladenfabriken Deutschlands sagen Sie, mit Betriebswirtschaft könne man kein Unternehmen führen. Meinen Sie das ernst?

 

Alfred Ritter: Natürlich muss man auf´s Geld achten. Aber das alleine reicht nicht. Ein Unternehmen steht im sozialen Austausch mit seinen Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. Diese Aspekte deckt die Betriebswirtschaft zu wenig ab.

 

Koch: Worum kümmern sich Ihre Kollegen in den Vorstandsetagen nicht genug?

 

Ritter: Jeder soll es so machen, wir er es für richtig hält. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen: Ein gutes Betriebsklima, ein gutes Verhältnis der Firmenleitung zu den Mitarbeitern, ist von unschätzbarem Wert.

 

Koch: Banken und Investmentfonds strebten in den vergangenen Jahren Renditen von 25 Prozent oder mehr an. Diese übersteigerte Gewinnerwartung ist eine Ursache der Finanzkrise. Fühlen Sie sich dadurch in Ihrer Kritik an der isolierten Betriebswirtschaft bestätigt?

 

Ritter: Banker, die in Harvard studiert haben, dachten, man könne mit Schokolade, Hemden oder auch neuen Finanzprodukten eine Gewinnmarge von 20 Prozent erwirtschaften. Das musste irgendwann schiefgehen.

 

Koch: Gewinnerwartungen in dieser Höhe und verantwortliches unternehmerisches Handeln widersprechen sich?

 

Ritter: Auf jeden Fall.

 

Koch: Warum ist das so?

 

Ritter: Es gibt eine gerechtfertigte Gewinnerwartung, die ein Unternehmen erfüllen kann, ohne andere zu schädigen. Und es gibt ein Renditestreben, das nur darauf baut, jemanden über´s Ohr zu hauen.

 

Koch: Auf wessen Kosten geht das?

 

Ritter: Zum Beispiel auf Kosten der Kunden, der Mitarbeiter oder der Lieferanten. Wenn der Markt um fünf Prozent wächst, das Unternehmen aber 25 Prozent Gewinn anstrebt, muss es diesen Profit irgendwem abnehmen.

 

Koch: Wie lange können Unternehmen eine solche Strategie praktizieren?

 

Ritter: Wenige Jahre, im Höchstfall. Weil sie andere massiv schädigt, kann man sie nicht lange durchhalten.

 

Koch: Wie sieht eine nachhaltige Unternehmenspolitik aus?

 

Ritter: Der Dreiklang aus sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten muss stimmen. Ein Unternehmen, aber auch eine Volkswirtschaft sollte so funktionieren, dass niemand geschädigt wird – weder heute noch morgen.

 

Koch: Tragen die Erfahrungen der Finanzkrise dazu bei, dass diese Einschätzung an Boden gewinnt?

 

Ritter: Zumindest hat das Kalkül, im Finanzsektor gigantische Extrarenditen zu erzielen, einen Dämpfer erhalten. Dieser neue Realismus dürfte einige Zeit überdauern. Das ist ein Segen.

 

Koch: Wird eine längerfristige, nachhaltige Unternehmenspolitik die Orientierung auf schnellen Gewinn ablösen?

 

Ritter: Das bezweifele ich. Börsennotierte Aktiengesellschaft müssen weiterhin jedes Vierteljahr ihre Zahlen veröffentlichen. Der Zwang zur Quartalsbilanz ist der Feind jeder langfristigen Orientierung. Ohne diesen Druck kann ich als Inhaber eines nicht börsennotierten Familienunternehmens ganz anders planen.

 

Koch: Sollte man den Zwang zur Quartalsbilanz abschaffen?

 

Ritter: Dann würde das Familienunternehmen Ritter einen Vorteil verlieren.

 

Koch: Wenn Sie von diesem Interesse abstrahieren?

 

Ritter: Vierteljahresbilanzen sind schädlich. Manager von börsennotierten Aktiengesellschaften haben Schwierigkeiten, eine längerfristige Orientierung im Unternehmen durchzusetzen. Denn langfristige Investition und Planung gehen oft auf Kosten des kurzfristigen Ertrages. Ein Jahr als Zeitraum für die Veröffentlichung der Zahlen wäre besser.

 

Koch: 1990 begann Ritter, in den Anbau biologisch erzeugten Kakaos in Nicaragua zu investieren. 2008 haben Sie Ihre Bio-Schokolade auf den Markt gebracht. Hätten Sie dieses langfristige Engagement durchgehalten, wenn es bei Ritter Quartalsberichte gäbe?

 

Ritter: Nein, 18 Jahre Investitionen ohne vorzeigbaren Gewinn auf diesem Feld hätte ich mir nicht leisten können.

 

Koch: Der Druck der Börse kann verhindern, dass Firmen in ihre Zukunft investieren?

 

Ritter: Hätten wir auf die jahrelangen Investitionen in Bio-Kakao verzichtet, wäre uns ein strategischer Vorteil gegenüber der Konkurenz verlorengegangen. Manche Produktentwicklung braucht Geld über mehrere Jahre. Damit steht man immer schlechter da, wenn man die Kosten vierteljährlich ausweisen muss.

 

Koch: Mit Milka von Kraft Foods konkurriert Ritter Sport um die Spitzenposition beim Verkauf von 100-Gramm-Tafeln Schokolade. Geben Sie den Kampf um den Massenmarkt auf, indem Sie die neue Bio-Schokolade einführen?

 

Ritter: Keineswegs. Mit Preisen von rund 90 Cent pro Tafel bewegen wir uns sowieso am oberen Rand des Massenmarktes. Mit Billiganbietern brauchen wir erst gar nicht zu konkurrieren.

 

Koch: Die Bio-Schokolade kostet 99 Cent pro 65-Gramm-Packung – deutlich mehr als der Standard. Wollen Sie wohlhabendere Käuferschichten ansprechen?

 

Ritter: Das sind fließende Übergänge. Insgesamt bieten wir Produkte mit sehr gute Zutaten an. Deshalb ist die Weiterentwicklung in Richtung Bio eine logische Konsequenz.

 

Koch: Warum ist Ihnen Bio so wichtig?

 

Ritter: Wir dürfen die Böden der Welt nicht länger zu Müll verarbeiten. Die ökologische Landwirtschaft geht vorsichtiger mit der Umwelt um. Sie verzichtet beispielsweise auf Kunstdünger.

 

Koch: Nur die Weltanschauung spielt eine Rolle, das ökonomische Kalkül keine?

 

Ritter: Ich fühle mich wohl in der Rolle des Marktführers, der früh ein Bio-Produkt herausbringt. Diese Position verbessert unsere Ertragssituation. Aber irgendwann wird die Konkurrenz nachziehen. Auch sie kann die ökologische Notwendigkeit und die neuen Verbraucherbedürfnisse nicht ignorieren.

 

Koch: Wie groß kann das Marktsegment der Bio-Schokolade werden?

 

Ritter: Einen Martkanteil von 20 Prozent halte ich für erreichbar. Heute ist es weniger als ein Prozent. In Deutschland ist Bio noch nicht sehr verbreitet. In Österreich dagegen haben ökologische Lebensmittel bereits einen Marktanteil von über zehn Prozent.

 

Koch: Wieso entwickelt sich der Bio-Markt in Deutschland langsamer als in Österreich, der Schweiz oder Großbritannien?

 

Ritter: In Österreich hat der Staat die Bio-Landwirtschaft früher unterstützt als hier. Deshalb sind auch die Verbraucher dort schon mehr an Bio-Produkte gewöhnt.

 

Koch: Aber auch die Firmen tragen Verantwortung. Ritter hat sich mit dem Bio-Kakao viel Zeit gelassen. Warum haben Sie nicht früher angefangen?

 

Ritter: Nicaragua ist unser Entwicklungsfeld für guten Kakao. Wir mussten erst lernen, wir hatten unter anderem Schwierigkeiten mit Pflanzenkrankheiten. Deshalb hat es länger gedauert. Es hat keinen Sinn, ein Projekt schnell zu vergrößern, wenn man es nicht beherrscht.

 

Koch: Haben Sie sich nicht einfach zu wenig um das Bio-Kakao-Projekt gekümmert?

 

Ritter: Da ist etwas dran. Aber jetzt geht es sehr schnell.

 

 

Alfred T. Ritter (Jahrgang 1953) ist zusammen mit seiner Schwester Marli-Hoppe Ritter Inhaber des Schokoladen-Unternehmens Ritter Sport. Alfred Ritter leitet die Geschäftsführung. Ritter ist studierter Psychologe und Volkswirt, sitzt im Aufsichtsrat der Ökoenergie-Firma Paradigma, die er selbst gegründet hat, und leitet den Aufsichtsrat der Solarfabrik AG mit Sitz in Freiburg.

 

Die Firma Ritter Sport GmbH & Co. KG machte 2007 mit etwa 800 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 290 Millionen Euro. Mit Milka (Kraft Foods) konkurriert Ritter um die Marktführerschaft bei den Standard-Tafeln Schokolade (100 Gramm) in Deutschland. Die vergangenen drei Jahre waren ökonomisch schwierig. 2008 soll das Unternehmen wieder solide in der Gewinnzone sein. Die Höhe des Gewinns wird nicht kommuniziert.

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