Unrealistische Zahlen, richtige Richtung

Wie Steinmeier vier Millionen Jobs schaffen will, bleibt ein Rätsel

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Von Wolfgang Mulke

03. Aug. 2009 –

Vier Millionen neue Stellen bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts will Frank-Walter Steinmeier mit einem umfangreichen Wirtschafts- und Bildungsprogramm schaffen. Arbeitslosigkeit soll im Jahr 2020 kein Thema mehr sein in Deutschland. Arbeitsmarktexperten sind allerdings skeptisch, ob das Ziel erreichbar ist. „Vollmundig“ nennt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, das Versprechen, „wir haben erst einmal fünf Jahre mit der Krise zu kämpfen.“

Beträchtliche Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind aber durchaus machbar. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Zwischen 1998 und 2008 sind in Deutschland 2,4 Millionen Beschäftigte zusätzlich erwerbstätig geworden und die durchschnittliche Arbeitslosenzahl ging um eine Million auf 3,3 Millionen zurück. Allerdings sei der Zuwachs bis 2004 fast ausschließlich aus Teilzeitstellen entstanden, erläutert der Vizechef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Ulrich Walwei. Ob sich ein solches Jobwunder in den nächsten zehn Jahren noch übertreffen lässt, erscheint dem Fachmann fraglich.

Auch von der Vollbeschäftigung ist Deutschland noch weit entfernt. Allerdings hilft beim Erreichen dieses Ziels die demographische Entwicklung ein wenig mit. In den kommenden Jahren scheiden weitaus mehr Arbeitnehmer aus dem Berufsleben aus als Schulabgänger auf den Arbeitsmarkt kommen. Allein in diesem Jahr beträgt die Differenz 150.000. „Bis 2020 sind es ein bis zwei Millionen Arbeitnehmer weniger“, schätzt Walwei.

Rein rechnerisch könnte Deutschland also im nächsten Jahrzehnt der Vollbeschäftigung nahe kommen. Doch in der Praxis sieht es anders aus. „Es gibt zu wenig Leute, die die Stellen besetzen können“, glaubt Zimmermann. Denn es scheiden viele Akademiker und bestens qualifizierte Facharbeiter aus dem Berufsleben aus. Arbeitslosigkeit ist aber vor allem ein Problem der weniger gut ausgebildeten. Für die gibt es bislang kaum ausreichend viele freiwerdende Stellen.

Auf Kritik der Wissenschaftler stößt aber vor allem Steinmeiers Festlegung auf konkrete Zahlen und Daten. Wesentliche inhaltliche Ziele der SPD finden ihre Unterstützung. Steinmeier will mit einer Bildungsoffensive für ausreichend guten Nachwuchs sorgen. Dafür müssen die Reichen Federn lassen. Der Spitzensteuersatz soll auf 47 Prozent angehoben, die zusätzlichen Einnahmen als „Bildungssoli“ verwendet werden.

Die neuen Jobs erhofft sich die SPD in erster Linie aus der Industrie. Mit Umwelttechnologien soll Deutschland Spitzenreiter unter den Exporteuren werden. Steinmeier will zum Beispiel die Entwicklung und Produktion von Elektroautos massiv fördern. Auch von Ökoenergien verspricht sich der Kandidat erhebliche wirtschaftliche Chancen. Insgesamt zwei Millionen Stellen sollen allein durch die ökologische Ausrichtung der Industrie entstehen. Das erscheint gewagt. Der Bundesverband Erneuerbare Energie rechnet bis 2020 zwar mit einer Verdoppelung der Branchenjobs. Das wäre aber gerade einmal ein Zuwachs um knapp 300.000 Stellen und noch weit von der Zielmarke entfernt.

Noch nebulöser ist die zweite Jobmaschine der SPD. Im Gesundheitssystem erwartet Steinmeier eine Million zusätzliche Arbeitsplätze, zum Beispiel in der Altenpflege. Was zusätzliche Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung in diesem Umfang kosten würden, lässt der Politiker offen. Finanzieren müssten es wohl Besserverdienende und Beamte. Denn Steinmeier will die Bürgerversicherung. Alle sollen einkommensabhängige Krankenkassenbeiträge bezahlen. Die Privatversicherung soll ein Auslaufmodell werden.


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