• Dipl.-Ing. Ingo Kühl

„Vielleicht gibt es noch einen Alibizug“

Die Unternehmensberatung KCW hat im Auftrag einiger Länder die Folgen der Bahnprivatisierung für den Fernverkehr untersucht. Über die Ergebnisse sprach die SZ mit dem Autoren der Studie, dem Dipl.-Ing. Ingo Kühl.

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Von Wolfgang Mulke

07. Aug. 2008 –

SZ: Sie zeichnen ein düsteres Szenario des künftigen Fernverkehrs. Fahrten im Intercity werden teurer, viele Städte vom Fernverkehrsnetz abgehängt. Wie kommen Sie auf diese Prognose?

Ingo Kühl: Mit der Beteiligung privater Investoren an Gesellschaften der Deutschen Bahn AG steigt dort der Renditedruck. Das betrifft auch den Fernverkehr, der in den letzten Jahren deutlich weniger abwarf als der Regionalverkehr. Das werden private Investoren nicht lange dulden. Wo eine staatliche Fernverkehrs-AG im Zweifel schon zufrieden sein kann, wenn sie schwarze Zahlen erreicht, erwartet der Investor in der Regel eine zweistellige Rendite. Sieht man sich nun die Lage im Fernverkehr an, zeigt sich, dass vor allem auf den Hauptachsen zwischen den Ballungszentren Geld verdient wird. Schwach frequentierte Verbindungen drücken den Gesamtgewinn. Künftig wird streng genommen jeder Zug einen Mindestbeitrag zum Ergebnis leisten müssen. Dann fallen nicht kostendeckende Angebote oder solche mit geringem Gewinn durch das Sieb.

SZ: Warum werden auch größere Städte wie Ravensburg, Kempten oder Konstanz Ihrer Einschätzung nach bald vom Netz abgekoppelt?

Kühl: Nimmt man die Mittelfristplanung der DB AG ernst, die immerhin dem Verkaufsprospekt an die Investoren zugrunde liegt, muss die Profitabilität des Fernverkehrs deutlich steigen. Das heißt, es müssen die durchschnittlichen Erlöse steigen. Trotz der Schnäppchenangebote steigt also der Fahrpreis. Zum anderen muss das Angebot optimiert werden. Das betrifft Regionen abseits der großen Korridore. Mittel- und Oberzentren können dann nur noch an den Fernverkehr angebunden werden, wenn sie zwischen den Ballungsräumen liegen. Südlich der Achse Stuttgart-München und östlich der Rheinstrecke gibt es dafür wenige Möglichkeiten. Vielleicht wird es noch den einen oder anderen „Alibizug“ geben oder es werden aus politischem Kalkül Strecken bedient.

SZ: Die Bahn weist Ihre Ergebnisse empört zurück und macht Fahrplankürzungen allein vom Passagieraufkommen abhängig. Ist Ihre Langzeitprognose unter diesem Aspekt überhaupt haltbar?

Kühl: Wir haben uns an betriebswirtschaftlichen Maßstäben aus Sicht des Unternehmens orientiert. Neben dem Passagieraufkommen spielen auch die Kosten für den Fuhrpark eine große Rolle. Neue Züge müssen bald die alten ersetzen, die längst abgeschrieben sind. Bei hohen Ersatzinvestitionen rechnet sich manche Verbindung auch bei stabilen Fahrgastzahlen dann nicht mehr. Ein Anpassungsprozess ist schon seit mehreren Jahren im Gange, zum Beispiel mit der Abschaffung der Interregios. 24 Oberzentren wurden seit dem Jahr 2000 vom Fernverkehr abgeschnitten. Beim letzten Fahrplanwechsel im Juni wurden wiederum Fernzüge an verkehrsschwachen Tagen gestrichen. Der Trend ist also längst sichtbar.

SZ: Lässt sich der Prozess umkehren?

Kühl: Eine grundlegende Strategieänderung weg von der Renditeoptimierung hin zur Kostendeckung, wie etwa in der Schweiz, ist unter einem Börsenszenario nicht vorstellbar. Während der Bund das Ob und Wie der Privatisierung nicht mehr diskutieren will, gibt es zumindest auf Länderebene noch Verbesserungswillen. So sollte nach den Vorstellungen der Länder gesetzlich verankert werden, dass auch ein privatwirtschaftlich agierender DB Fernverkehr ein Mindestangebot nicht unterschreiten darf. Der Bund hat dies nicht aufgegriffen, um den Börsengang nicht zu gefährden. Die Länder könnten auch durch eine verbesserte Abstimmung ihrer Bestellungen von Nahverkehrsleistungen versuchen, im Grenzbereich zwischen dem ehemaligen Interregio und den heutigen Regionalexpresszügen attraktive durchgehende Langstreckenverkehre zu entwickeln. Mit dem Auslaufen der derzeitigen Verkehrsverträge zwischen den Ländern und der DB Regio bieten sich hier in den kommenden Jahren interessante Gestaltungsalternativen.

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