Vom Angestellten zum Mitarbeiteraktionär

Koalition: Beschäftigte sollen sich an Firmen beteiligen

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Von Hannes Koch

22. Apr. 2008 –

 

Nach dem Kompromiss zur Bahnprivatisierung steht die große Koalition kurz vor der Einigung auf eine weitere Reform. Union und SPD wollen die Kapitalbeteiligung von Beschäftigten an den Firmen, in denen diese arbeiten, erheblich erleichtern.

„Am kommenden Montag werden wir die Eckpunkte beschließen“, sagt SPD-Finanzpolitiker Jörg-Otto Spiller gegenüber Spiegel Online. „Ich bin zuversichtlich“, bestätigt Ralf Brauksiepe, sozialpolitischer Sprecher der Union.

„Von dieser Reform werden Leute mit kleinen Einkommen profitieren“, schätzt Lutz Bellmann vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), „das ist ein Beitrag zur Gerechtigkeitsdiskussion“. In den vergangenen Jahren hatten unter anderem Bundespräsident Horst Köhler (CDU) und SPD-Chef Kurt Beck vorgeschlagen, den Beschäftigten bessere Möglichkeiten einzuräumen, Anteile von Unternehmen zu erwerben. Dies gilt als ein Mittel, die Globalisierung fairer zu gestalten. Während die Reallöhne der Arbeiter und Angestellten stagnierten oder nur leicht stiegen, nahmen die Gewinne der Unternehmen und Kapitalbesitzer teilweise erheblich zu. Allein 2007 war hier ein Anstieg um 7,2 Prozent zu verzeichnen. Besäßen Beschäftigte mehr Aktien ihrer Firmen, könnten sie von diesem Anstieg profitieren.

Union und SPD peilen nun an, dass der steuer- und sozialabgabenfreie Zuschuss zum Erwerb von Mitarbeiteranteilen von heute 135 Euro auf etwa 360 Euro pro Jahr steigt. „Das ist die Größenordnung“, so SPD-Politiker Spiller. Diesen Betrag können Firmen ihren Mitarbeitern beisteuern, wenn diese Aktien, stille Beteiligungen oder andere Anteile am Betrieb erwerben. Um die Beteiligung zu erleichtern, verzichtet der Staat auf Sozialabgaben und Steuern. So steht es schon jetzt im Einkommensteuergesetz. Während heute allerdings ein Beschäftigter den gleichen Betrag investieren muss wie das Unternehmen, wird diese Bindung künftig aufgehoben. Ein Mitarbeiter könnte beispielsweise nur 50 Euro pro Jahr für Firmenanteile aufwenden, das Unternehmen ihm aber trotzdem 360 Euro dazugeben. Diese Neuregelung kommt Beschäftigten zugute, die geringe Einkommen beziehen und wenig bei Seite legen können.

Manche Unternehmen greifen bereits zu solchen Maßnahmen, um die Motivation ihrer Mitarbeiter zu steigern oder Fachkräfte an die Firma zu binden. Eine Verpflichtung für Betriebe wird es auch nach dem neuen Gesetz aber nicht geben. Die konkrete Umsetzung muss in jedem einzelnen Unternehmen geregelt werden.

Auch die direkten staatlichen Zuschüsse sollen steigen. Aufgrund des Vermögensbildungsgesetzes erhielten Mitarbeiter in den westlichen Bundesländern bisher eine staatliche Sparzulage von maximal 72 Euro pro Jahr, wenn sie 400 Euro in Anteile ihrer Firma steckten. Diese vermögenswirksame Leistung soll auf 80 Euro wachsen. Das klingt wenig, entfaltet in Kombination mit einer weiteren Verbesserung aber größere Wirkung. Während der Zuschuss heute nur bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 17.900 Euro bei Singles und 35.800 bei Verheirateten fließt, gelten als Grenzen künftig 20.000 und 40.000 Euro.

Rechnet man die verschiedenen Möglichkeiten zusammen, könnten Beschäftigte damit im Laufe eines 40jährigen Berufslebens leicht Aktienvermögen von 60.000 Euro oder mehr erwirtschaften. Nach jetzigem Stand soll die Beteiligung der Mitarbeiter am Firmenkapital den Staat rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich kosten. Dies könnte noch ein Knackpunkt werden, denn Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) dürfte Mühe haben, 2011 planmäßig einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden aufzustellen. Einige teuere Wohltaten haben Union und SPD in den vergangenen Wochen schon verteilt, und in den gegenwärtigen Haushaltsverhandlungen verlangen mehrere Ministerien Zusatzausgaben in Milliardenhöhe. Wegen der internationalen Finanzkrise werden sich außerdem die Steuereinnahmen nicht mehr so üppig entwickeln wie 2007.

Über finanzielle Zuschüsse hinaus werden Union und SPD auch vereinbaren, dass Beschäftigte sich mit ihren vermögenswirksamen Leistungen gezielt an Aktienfonds beteiligen können, die wiederum Anteile ihres Unternehmens erwerben. Die SPD wünscht, dass 75 Prozent des Kapitals derartiger Fonds in Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligung fließen. Die Fondslösung soll Beschäftigten eine größere Sicherheit bieten: Geht ihr Unternehmen pleite, wäre der Wert ihrer Anteile nicht verloren. Um dies sicherzustellen, hatte SPD-Chef Kurt Beck vor Monaten einen so genannten Deutschland-Fonds vorgeschlagen. „Die Beschäftigten sollen nicht das doppelte Risiko tragen“, so Spiller, „sie haben schon das Risiko des Arbeitsplatzverlustes“. Unionspolitiker Brauksiepe sagte, „den Deutschland-Fonds können wir nicht wegverhandeln. Jedes Modell bekommt eine faire Chance.“

Beteiligungsexperte Heinrich Beyer betrachtet sie Fondslösung freilich mit Skepsis: „Das ist nicht praktikabel“. Gerade mittelständische Unternehmen hätten kein Interesse daran, dass Aktienfonds Einfluss auf ihr Kapital erhielten. Beyer ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft „Partnerschaft in der Wirtschaft“, in der sich Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligung zusammengeschlossen haben. Grundsätzlich begrüßt die AGP die rot-schwarze Reform.

Auch Lutz Bellmann vom IAB-Institut sagt, das Vorhaben gehe „in die richtige Richtung“. Gegenüber anderen wichtigen EU-Ländern habe Deutschland noch einen deutlichen Rückstand bei der Beteiligung von Beschäftigten am Kapital. Neun Prozent der deutschen Unternehmen beteiligen ihre Mitarbeiter am Gewinn, zwei Prozent am Vermögen. In Großbritannien sind es 40 und 23 Prozent, in Frankreich 57 und 7 Prozent. Die hohe Quote dort wird auch deshalb erreicht, weil es für bestimmte Unternehmen eine Verpflichtung gibt. Im Hinblick auf die hierzulande weiterhin geplante Freiwilligkeit fragt sich IAB-Experte Bellmann deshalb, „ob Deutschland damit aufholen kann“.

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