Von ABB bis Zurich

Deutschland ist für die Schweizer Wirtschaft wichtigster Partner. Nach der Zuwanderungsabstimmung geht die Furcht vor Restriktionen um.

Teilen!

Von Wolfgang Mulke

11. Feb. 2014 –

Die meisten Verbraucher kommen regelmäßig mit Schweizer Produkten in Berührung, ohne sich dessen bewusst zu sein. In vielen Supermärkten füllt der Nahrungsmittelherstellers Nestlé einen guten Teil der Regale. Der Babybrei Alete, Eis von Mövenpick, Maggi-Würze, der Malzkaffee Karo und Mineralwasser der Marke San Pellgrino sind nur wenige Beispiele für das Angebot des riesigen Lebensmittelkonzerns.

 

Auf der Heimfahrt mit der Bahn kann es gut sein, dass Teile des Anlagenbauers ABB mit Hauptsitz in Zürich für eine schnelle Fahrt sorgen. Im vielen Einkaufszentren wiederum bringen Aufzüge oder Fahrtreppen von Schindler die Kunden ins gewünschte Stockwerk. „Wer hat's erfunden?“, heißt die Frage in Reklamespots für ein Kräuterbonbon. „Die Schweizer“, lautet die stets die kleinlaute Antwort. Und im Notfall springt die Zurich-Versicherung für ihre Kunden ein, wenn etwas schief läuft. Weniger bekannt sind Namen wie der des Stahlspezialitäten-Herstellers Schmolz-Bickenbach in Düsseldorf.

 

Nach Angaben der Vereinigung der Schweizer Unternehmen in Deutschland (VSUD) haben sich mehr als 1.600 eidgenössische Firmen zwischen Flensburg und Passau niedergelassen. Sie stehen für gut 330.000 Beschäftigte und fast 120 Milliarden Euro Umsatz. Die Betriebe sind nach dem Volksentscheid vom vergangenen Sonntag nun verunsichert. „Man muss jetzt abwarten“, sagt VSUD-Geschäftsführer Helge Rühle. Mit Investitionen würden sich die Schweizer Unternehmen erst einmal zurückhalten, solange die Unsicherheit über das künftige Verhältnis zur EU anhalte.

 

Im schlimmsten Falle müssten die Schweizer Firmen wieder viele Hindernisse in Kauf nehmen, wenn die Freihandelsabkommen mit der EU gekündigte werden sollten. Es könnte wieder höhere Zölle und bürokratische Handelsbeschränkungen geben. Vor allem aber macht den Eidgenossen der womöglich nicht mehr zu deckende Bedarf an Fachkräften Sorgen. Es ist nicht einmal klar, ob die Unternehmen ihre Beschäftigten aus Deutschland dann noch zeitweise in der Schweiz arbeiten lassen können. Und die Wirtschaft befürchtet, dass sie kaum Leute anheuern kann, wenn der Nachzug der Familie in die Alpenrepublik nicht mehr ermöglicht werden sollte.

 

Deutschland ist für die Schweiz ein extrem wichtiger Handelspartner. Waren im Wert von rund 44 Milliarden Euro importierte das Land 2012. Umgekehrt kauften die Deutschen für 37 Milliarden Euro beim Nachbarn ein. Das klassische Schweizer Taschenmesser oder die teure Rolex und Schokoladenmarke Lindt kennen viele Konsumenten als typische Exportschlager. Doch die großen Umsätze werden mit anderen Artikeln erzielt. Ganz vorne in der Rangliste stehen Pharmaprodukte, die Schweizer Firmen allein sieben Milliarden Euro einbrachten. Deutschland importierte auch Maschinen im Wert von fünf Milliarden Euro. Chemie und Datenverarbeitungserzeugnisse folgen auf den Rängen.

 

Vom jüngsten Volksentscheid und der damit verbundenen Änderung in der Einwanderungspolitik der Schweiz ist die Wirtschaft immer noch geschockt. „Wir haben damit nicht gerechnet“, gesteht Rühle. Die Folgen sind noch nicht klar. Aber Deutschland könnte sogar davon profitieren. Wenn den in der Schweiz tätigen Firmen die Fachkräfte ausgehen sollten und Handelsrestriktionen die Wettbewerbsfähigkeit schmälern sollten, könnte das zu einer Auswanderung mancher Betriebe oder Unternehmen in die EU führen.

 

« Zurück | Nachrichten »