Wenn Unternehmen sterben, lebt der Staat weiter

Beim Atomausstieg will die Regierung den Energiefirmen einen Teil der Kosten abnehmen. Warum haftet am Ende oft der Staat?

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Von Hannes Koch

23. Feb. 2016 –

Wer zahlt wieviel für den Abbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung des nuklearen Mülls? Einen Kompromissvorschlag soll die Kommission zur Finanzierung des Kernenergieausstiegs, die die Bundesregierung eingesetzt hat, bis Ende Februar präsentieren. Vielleicht dauert es ein paar Tage länger, wie aus den Verhandlungskreisen zu hören ist. Allerdings zeichnet sich schon jetzt ab, dass nicht nur die Unternehmen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW, sondern am Ende auch wieder einmal der Staat Milliarden Euro locker machen wird. Warum ist das so, warum kann die Wirtschaft oft einen Teil ihres Risikos bei der Allgemeinheit abladen?

 

Antwort 1: Unternehmen haben mächtige Fürsprecher in der Politik.

Politiker haben traditionell offene Ohren für die Interessen der Wirtschaft. Sie brauchen die Kooperation der Unternehmen, damit das Gemeinwesen funktioniert. Beispiel Energiewirtschaft: Die Versorgung mit Strom und Wärme ist eine Lebensader moderner Gesellschaften, sie darf niemals unterbrochen werden. Unter anderem um das sicherzustellen, sind heute noch Städte am Energiekonzern RWE beteiligt. Enge Verbindungen schaffen Einflussmöglichkeiten, die Firmen für ihre Zwecke nutzen.

 

Antwort 2: Unternehmen bieten Millionen Arbeitsplätze.

Dass die Deutschen heute so relativ zufrieden in die Zukunft blicken, liegt zum guten Teil an der niedrigen Arbeitslosigkeit. Weil sie um diesen Zusammenhang wissen, sind Politiker, die die Stimmen ihre Wähler brauchen, immer für Arbeitsplatz-Argumente zugänglich. Um Unternehmen zu unterstützen, stehen Regierungen vielfältige Instrumente zur Verfügung, beispielsweise Kreditbürgschaften oder Forschungsmittel. Mitunter neigt die Politik dazu, auch Subventionen für Industrien zu zahlen, die eigentlich nicht lebensfähig sind. Ein derartiger Fall war die Werft Bremer Vulkan, die in den 1990er Jahren zusammenbrach, nachdem sie mindestens hunderte Millionen Euro öffentlicher Gelder erhalten hatte.

 

Antwort 3: Regierungen machen Wirtschaftspolitik.

Politiker wollen die Wirtschaft lenken – und tun das auch. Früher plädierten manche für den Bau von Atomkraftwerken, mittlerweile ist es Regierungspolitik, die Energie-Unternehmen zur schnellen Abschaltung derselben zu drängen. Ähnliches könnte in den kommenden Jahrzehnten mit den Kohle-Kraftwerken geschehen. Nun verlangen die Vorstände der Aktiengesellschaften im Interesse ihrer Aktionäre vom Staat, sie für Verluste zu entschädigen, die auf politische Entscheidungen zurückzuführen sind.

 

Antwort 4: Wenn die Gewinne fließen, ignoriert man gerne die späteren Kosten.

Aktiengesellschaften wie die Energiekonzerne müssen im Interesse ihrer Aktionäre handeln und ihnen beispielsweise akzeptable Gewinnbeteiligungen zahlen. Dieser Mechanismus hat im Zweifel Vorrang davor, ausreichende finanzielle Polster für mögliche Kosten anzulegen, deren Höhe niemand genau kennt, und die erst in ferner Zukunft fällig werden. Ist es dann soweit, ist häufig nicht genug Geld da.

 

Antwort 5: Staaten leben meist länger als Unternehmen.

Konzerne mögen noch so stabil erscheinen, doch selbst Traditionsunternehmen wie AEG oder Mannesmann sind mehr oder weniger verschwunden. Der Staat überdauert sie und muss sich als Erbverwalter betätigen. In solchen Fällen kann beispielsweise öffentliches Geld an die von Erwerbslosigkeit bedrohten Beschäftigten fließen.

 

Antwort 6: Der Staat funktioniert wie eine große Versicherung.

Steuern, die dem Staat Einnahmen verschaffen, dienen auch dazu, Lebensrisiken der einzelnen Bürger abzufedern. Beispiel: Wohlhabende und Reiche zahlen höhere Steuersätze als Geringverdiener. Die damit gewonnenen Mittel gibt der Staat unter anderem dafür aus, niedrige Renten zu subventionieren und Sozialunterstützung für Arme zu zahlen. Die staatliche Gemeinschaft schützt so das Individuum. In Anwendung dieses Versicherungsprinzips argumentieren auch Unternehmensvorstände gerne: Diese Belastungen sind für uns zu groß, die Allgemeinheit soll zahlen.

 

Dies alles spricht dafür, dass das Muster „Gewinne werden privatisiert, Kosten sozialisiert“ zur Marktwirtschaft dazugehört. Man könnte versuchen es anders zu machen - zum Beispiel indem der Staat die Unternehmen in guten Zeiten so hoch besteuert, dass er ein Finanzpolster für schlechte Zeiten anlegen kann. Warum das nicht funktioniert? Damit wären wir wieder bei Antwort 1.

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