Wie wichtig ist Hartz IV?

Die Zukunft einer umstrittenen Reform.

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Von Hannes Koch

28. Feb. 2017 –

Es war schon Gras über die Sache gewachsen. Doch nun hat Martin Schulz - wohl bald Kanzlerkandidat der SPD - den Pflug hinter den Traktor gespannt und das Feld wieder aufgerissen. Die Debatte über den Sinn der Hartz-Reformen ist neu entbrannt.

Weil Schulz die Bundestagswahl in diesem Jahr mit Gerechtigkeitspolitik gewinnen will, stellt er Teile der Agenda 2010 in Frage, die SPD-Kanzler Gerhard Schröder zusammen mit Grünen-Vizekanzler Joschka Fischer 2002 durchsetzte. Er plädiert dafür, älteren Erwerbslosen einen längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld I einzuräumen und die Möglichkeiten für Firmen einzudämmen, Arbeitsverträge zu befristen.


Den Vorschlag möge man nicht als grundsätzliche Demontage der Hartz-Gesetze missverstehen, interpretiert SPD-Generalsekretärin Katarina Barley inzwischen. Während die Grünen im Bundestag ebenfalls Reformbedarf anmelden – sie wollen unter anderem den Hartz-IV-Regelsatz erhöhen - , betont Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Vorteile der damaligen Maßnahmen.


Diese trugen, auch wenn das viele Linke und Sozialdemokraten nicht gerne hören, dazu bei, dass die ökonomische Lage in Deutschland heute so gut ist, wie sie ist. Über 43 Millionen Beschäftigte, niedrige Arbeitslosenquote, hohe Handelsbilanz-Überschüsse, internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie: Das sind auch Erfolge von Schröders Agenda 2010.


Warum? Der epochale Einschnitt bestand in diesem Wechsel: Vor 2002 bekamen Erwerbslose erst jahrelang Arbeitslosengeld, und danach manchmal weitere zehn Jahre die relativ auskömmliche Arbeitslosenhilfe. Schröder, sein damaliger Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier und Ex-VW-Vorstand Peter Hartz machten damit Schluss: Arbeitslosengeld I sollte es grundsätzlich nur noch ein Jahr geben, danach sackte jeder Jobsucher automatisch auf den kargen Hartz-IV-Regelsatz, also auf Sozialhilfeniveau. Existenzminimum.


Dadurch wurde das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugunsten letzterer verschoben. Denn Millionen Menschen, die nur noch Sozialhilfe erhielten, wurden gezwungen, ihre Ansprüche zu reduzieren. Sie verspürten größeren Druck, einen neuen Job anzunehmen. Das heißt, sie verlangten weniger Lohn, wurde ihnen ein neuer Arbeitsplatz angeboten. Dieser Effekt dürfte zur Stagnation der Arbeitnehmerverdienste zwischen 2000 und 2010 beigetragen haben.


In die gleiche Richtung wirkten die laxeren Regeln für Befristungen und Zeitarbeit. Wer nur einen Zeitvertrag hat, macht sich weniger Hoffnung auf eine Lohnerhöhung. Das ist ein Vorteil für die Unternehmen. Ihre Personalkosten steigen langsamer. Dass sie ihre befristeten Angestellten schneller wieder loswerden, reduziert ebenfalls Risiko und Kosten.


Dies sind Gründe für die hohe Wettbewerbs- und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber anderen Staaten. Länder, die sich Strukturreformen wie die Agenda 2010 gespart haben, produzieren heute teils mit höheren Löhnen – und exportieren entsprechend weniger. Allerdings spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Der in den vergangenen Jahren sinkende Kurs des Euro, der die Exporte zusätzlich verbilligt, macht sich ebenso bemerkbar wie das niedrige Zinsniveau, das Unternehmen Investitionen erleichtert.


Ist es deshalb ökonomisch nun falsch, die Hartz-Reformen teilweise zu revidieren? Nicht unbedingt. Denn jede Politik hat ihre Zeit. Bereits in den vergangenen Jahren wurden einzelne Punkte des Hartz-Paketes entschärft. So erhalten ältere Erwerbslose ab 58 Jahren inzwischen wieder bis zu zwei Jahren Arbeitslosengeld I, bevor sie auf das karge ALG II abrutschen. Außerdem führte die Bundesregierung 2015 den Mindestlohn ein, der die Arbeitskosten der Unternehmen erhöhte. Ebenso steigen die Reallöhne der Arbeitnehmer seit Jahren wieder an.


Wirtschaftswachstum und Handelsüberschüssen tun diese Entwicklungen keinen Abbruch. Die einheimische Wirtschaft ist augenblicklich so stark, die Staatsfinanzen sind so solide, dass höhere Kosten und ein besseres Sozialniveau verkraftbar erscheinen. Und möglicherweise tragen gerade jetzt solche Maßnahmen dazu bei, die Konjunktur noch eine Weile am Laufen zu halten. Denn höhere private und öffentliche Ausgaben, die nicht mit Schulden finanziert werden, generieren eine gesunde Nachfrage. Andererseits muss man für die Zukunft auch aufpassen, dass die Arbeits- und Sozialkosten nicht zu sehr ins Kraut schießen.

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