Wieder am Abgrund

Dramatische Entwicklung der Finanzkrise: Hypo Real Estate braucht mehr als 35 Milliarden Euro. Mehr Geld vom Bund, Verstaatlichung oder Pleite?

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Von Hannes Koch

05. Okt. 2008 –

„Wir haben alle in einen Abgrund geblickt“, sagte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Sein Sprecher Torsten Albig ergänzte: „Ja, wir sind in einer Krise“. Diese Sätze, vor ein paar Tagen gesprochen, haben am Wochenende eine neue, dramatische Aktualität erhalten.

 

Am Samstag Abend gab die Bank Hypo Real Estate (München) bekannt: Das 35 Milliarden Euro teure Rettungspaket, das private Banken und der Bund in der vergangenen Woche verabredet hatten, stehe nicht mehr bereit. Damit war das durch die internationale Finanzkrise strauchelnde Institut zum zweiten Mal akut von der Zahlungsunfähigkeit bedroht. Für den Fall, dass diese eintrete, hatte Steinbrück eine „Erschütterungsdynamik“ unangeahnten Ausmaßes vorausgesagt. Der Konkurs des Institutes könnte weitere deutsche Banken in die Pleite treiben – die Finanzkrise der USA würde mit voller Wucht auch in Deutschland zuschlagen.

 

Als wie schwerwiegend die Bundesregierung die neue Lage einschätzte, demonstrierte der Schritt, den Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Steinbrück am späten Sonntag Nachmittag taten. Erstmals erklärten sie, der Staat übernehme die vollständige Garantie aller Spareinlagen der Bürger bei einheimischen Banken. Damit sind die Guthaben der deutschen Bevölkerung über die bisher existierender Einlagensicherung hinaus geschützt. Für Aktiendepots und Fonds gilt diese Zusage allerdings nicht. Die Botschaft von Merkel und Steinbrück ist diese: Leute, habt Vertrauen, wir werden den ganz großen Crash verhindern.

 

Über die Bank HRE, die dies notwendig machte, berieten die Experten des Bundesfinanzministeriums seit Sonntag Vormittag. Am Nachmittag kamen die Vertreter der privaten Banken dazu. „Wir müssen sehen, wie wir die Scherben, die die uns vor die Tür gekippt haben, wieder zusammenkehren“, sagte Steinbrücks Sprecher Albig.

 

Bereits am Samstag Nachmittag war zum Bundesfinanzministerium durchgedrungen, dass die im Bundesverband Deutscher Banken zusammengeschlossenen Privatinstitute nicht mehr zu ihrer Zusage aus der vergangenen Woche standen. Als Grund wurde genannt: Die Experten der Deutschen Bank haben bei der Durchsicht der Bücher wohl entdeckt, dass die zugesagten Rettungskredite von 35 Milliarden Euro – 15 Milliarden der Privatbanken, 20 Milliarden der Bundesbank - nicht ausreichen könnten. Die Hypo Real Estate (HRE) und ihre in Dublin ansässige Tochter Depfa brauchten mehr Geld, bis zu 50 Milliarden Euro in diesem Jahr und möglicherweise weitere 50 Milliarden in 2009. Der Grund: Die Depfa hat Kredite mit langer Laufzeit ausgegeben und zur eigenen Finanzierung kurzfristige Kredite aufgenommen. Wegen des Vertrauensverlustes unter den Banken im Zuge der Finanzkrise, sind diese kurzfristigen Kredite nun viel teurer geworden, oder die Depfa bekommt überhaupt keine mehr.

 

Nun gibt es drei Varianten sowohl für die Zukunft der Hypo Real Estate, als auch für den Fortgang der Finanzkrise in Deutschland:

 

Variante 1: Mehr Geld

Die privaten Bank verpflichten sich, mehr Geld in die Rettung der HRE zu investieren. Nicht nur ihre direkte Finanzspritze müsste steigen, sondern auch ihre Bürgschaft für den Fall, dass der spätere Verkauf der sanierten HRE nicht ausreicht, um die Rettungskredite zu tilgen. Aber auch der Bund müsste seine Bürgschaft erhöhen. Bis jetzt sichert Steinbrück maximal 26,5 Milliarden Euro ab. Eigentlich will er nicht mehr zusagen. „Es ist schon schwer verkraftbar, dass die deutschen Steuerzahler nun für Kapriolen von Banken in Dublin Docks einstehen sollen, die sich dort vor der deutschen Steuer gedrückt haben“, sagte der Finanzminister mit Blick auf die in Dublin ansässige HRE-Tochter Depfa. Andererseits weiß Steinbrück: Wenn die HRE und Depfa zusammenbrechen, gerät auch eines der letzten einigermaßen sicheren Finanzierungsinstrumente, mit dem sich Banken gegenseitig Geld leihen, in Verruf – der Pfandbrief. Pfandbriefe sind Anleihen, mit denen Banken Kredite von anderen Instituten oder auch Privatanlegern aufnehmen und diese mit besonderen Sicherheiten wie Grundstücken unterlegen. Die HRE und ihre Ableger sind in diesem Pfandbriefgeschäft stark engagiert.

 

Variante 2: Die Verstaatlichung

Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen, hat am Sonntag gefordert, die HRE auf „intelligente Weise zu verstaatlichen“. Eben das hat Steinbrück in der vergangenen Woche allerdings grundsätzlich abgelehnt. Die Privatbanken hätten ihn dazu drängen wollen, sagte der Finanzminister. Sein Argument: Übernehme der Bund die HRE, stehe die öffentliche Hand für das komplette Risiko ein. Aus einer Bürgschaft über 26,5 Milliarden Euro könnte dann schnell eine reale Zahlung dieses Betrages aus dem Bundeshaushalt werden. „Warum sollten wir das tun?“, fragt Steinbrück. Die HRE sei eine private Bank, und deshalb solle zunächst der Privatsektor in die Bresche springen.

 

Variante 3: Die Pleite

Wie ein Bankrott in der gegenwärtigen Finanzkrise letztlich wirkt, weiß niemand. Klar aber ist: Der Exitus der Bank Lehman Brothers in New York, den die US-Regierung hat geschehen lassen, brachte die Abwärtsspirale zusätzlich in Schwung. Sollten durch die Zahlungsunfähigkeit der HRE mehrere deutsche Banken in den Abgrund gerissen werden, könnten die Schäden schnell schwer handhabbare Summen erreichen. Denn irgendwann greift eine Finanzkrise auf die reale Wirtschaft über: Wenn Unternehmen keine Kredite mehr erhalten, streichen sie Arbeitsplätze und zahlen weniger Steuern. Unter dem Strich geht es um die Stabilität des deutschen und europäischen Finanzsystems an sich. Die Rettungsaktion für Hypo Real Estate entwickelt sich immer mehr zu einem Test dafür, welche Summen die privaten Banken, die staatlichen Notenbanken und die Regierungen gemeinsam bereitstellen können, um den ganz großen Crash zu verhindern.

 

 

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