Wo steht der Standort D?

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Von Björn Hartmann

01. Mai. 2024 –

Olaf Scholz streitet sich gerade mit Siegfried Russwurm. Der Chef des mächtigen Industrieverbands BDI wirft dem Kanzler vor, angesichts der dramatischen Lage die Wirtschaft zu vernachlässigen. Der wiederum behauptet, die Unternehmen redeten den Standort schlecht. Wer hat Recht? Wo steht Deutschland derzeit und was sollte angepackt werden?

Die neuesten Zahlen zum Wirtschaftswachstum stimmen positiv: Im ersten Vierteljahr 2024 ist die deutsche Wirtschaft gewachsen, wie das Statistische Bundesamt berechnet hat, 0,2 Prozent im Vergleich zum letzten Vierteljahr 2023. Zudem haben die Statistiker für 2023 noch einmal nachgerechnet: Die deutsche Wirtschaft schrumpfte nur um 0,2 statt um 0,3 Prozent. Die Inflation ist da herausgerechnet. Und gerade verkündete die Bundesregierung, sie erwarte im laufenden Jahr ein Plus von 0,3 statt 0,2 Prozent.

Dazu passt, dass sich die Stimmung der Wirtschaft bessert, wie der Geschäftsklimaindex des Münchener Ifo-Instituts nahelegt. Er ist in den vergangenen drei Monaten gestiegen – ein Zeichen für eine Wende. Die Firmen bewerten demnach die aktuelle Lage besser als vorher. Und sie schauen optimistischer in die Zukunft. Das Institut befragt jeden Monat etwa 9000 Unternehmen.

Also alles gut? Eher nicht. „Deutschlands Konjunktur hinkt gegenwärtig im internationalen Vergleich hinterher“, sagt Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Kiel (IfW). Dies liege auch in der deutschen Wirtschaftsstruktur, die stark vom Export von Investitionsgütern geprägt sei. Da habe die Nachfrage besonders unter der Energiekrise und den hohen Teuerungsraten gelitten. Der Ökonom vermisst Planbarkeit und eine klare wirtschaftspolitische Agenda zur Klimatransformation.

Im vergangenen Jahr lief es nicht rund für Deutschland. Während das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte, legte es zum Beispiel in Frankreich um 0,9 Prozent zu, in Japan um 1,9 Prozent. Die USA verzeichneten ein Plus von 2,5 Prozent. Insgesamt wuchs die Weltwirtschaft um 3,2 Prozent. Für 2024 rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) ebenfalls mit einem Gesamtplus von 3,2 Prozent. Die USA kommen danach auf 2,7 Prozent, Frankreich auf 0,7 Prozent und Japan auf 0,9 Prozent. Für Deutschland sollen es 0,2 Prozent sein.

Für 2025 sieht es wieder besser aus. Der Währungsfonds erwartet 1,3 Prozent Wachstum für Deutschland, die EU-Kommission schätzt 1,2 Prozent, die Bundesregierung 1,0 Prozent. Allerdings sind solche Zahlen kaum belastbar. Im Jahreswirtschaftsbericht 2023 hatte die Bundesregierung für 2024 noch ein Plus von 1,8 Prozent angenommen. Die geopolitischen Spannungen, Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, die zunehmende Blockbildung in der Welt machen Vorhersagen schwierig.

Wäre überhaupt mehr Wachstum möglich? Ökonomen arbeiten mit einer Größe, die zeigt, was erreichbar wäre, wenn, vereinfacht gesagt, alle Produktionsanlagen optimal genutzt werden – das Potenzialwachstum. Hier sieht es mau für die kommenden Jahre aus: „Der demografische Wandel bedeutet für Deutschland, dass sich das Potenzialwachstum von rund 1,5 Prozent im Durchschnitt der letzten Jahre auf unter 0,5 Prozent abschwächen wird, wenn die Politik nicht gegensteuert“, sagt Schularick. „Die höheren Wachstumsraten kommen nicht wieder von allein zurück, es braucht politische Initiative.“ Und da hapert es.

„Den Ampelparteien fehlt eine gemeinsame, überzeugende wirtschaftspolitische Agenda, um entscheidende Weichen für mehr Wirtschaftswachstum zu stellen“, sagt der IfW-Präsident. „Sie scheuen derzeit die nötigen Kompromisse, um eine Wirtschaftspolitik auf den Weg zu bringen, die Deutschland dringen braucht.“ Die SPD müsse sich von der Aversion lösen, Bürger im Rentenalter weiterarbeiten zu lassen und Arbeitszeiten für Arbeitswillige zu flexibilisieren.

„Die FDP muss angesichts der geopolitischen Bedrohungslage durch Russland und einem erstarkenden Ostblock die Regeln ihrer Ordnungspolitik updaten und schuldenfinanzierte Investitionen in Sicherheit und Verteidigung akzeptieren, die der Wirtschaft einen spürbaren Wachstumsimpuls bringen würden“, fordert Schularick. Die Partei hat zwar gerade ein Zwölf-Punkte-Programm für eine Wirtschaftswende vorgelegt, die das aber nicht berücksichtigt, Kompromisse schon gar nicht.

Und die Grünen? Müssten sich angesichts der Dysfunktionalität des Wohnungsmarkts und des Kollapses der Neubautätigkeit „gegen eine ökologisch motivierte Not-In-My-Backyard-Kultur und das Regulierungsdickicht positionieren“. Beides verhindere seit Jahren, dass sich deutsche Städte flächen- und höhenmäßig verdichteten. Heißt vereinfacht: Lücken schließen, höher bauen und im Zweifel die ein oder andere Zauneidechse ignorieren.

Bleibt die Frage, ob der Bundeskanzler auch ein bisschen recht hat, wenn er den Unternehmen vorwirft, alles schlecht zu reden. „Auch die Unternehmen müssen ihre Hausaufgaben machen“, sagt Schularick. Deutschland sei auf den internationalen Märkten zunehmend Konkurrenz ausgesetzt, was für die deutsche Wirtschaft einen Umbruch bedeute. „Der deutsche Verbrennermotor hat als Exportschlager ausgedient, die energieintensive Chemiebranche dürfte nicht zu alter Stärke zurückfinden“, sagt der Ökonom. „An ihre Stelle müssen jetzt neue Bestseller Made-in-Germany treten. Die haben deutsche Unternehmen bislang noch nicht gefunden.“

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