• Colette Rose. Foto: Berlin-Institut

„Wo weniger Menschen sterben, werden weniger geboren“

Am Dienstag, dem 15. November 2022, leben offiziell acht Milliarden Leute auf der Erde. „Das primäre Ziel besteht darin, die Lebensbedingungen zu verbessern“, sagt Bevölkerungsforscherin Colette Rose.

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Von Hannes Koch

16. Nov. 2022 –

Hannes Koch: Acht Milliarden Menschen leben jetzt, um den 15. November herum, angeblich auf der Welt. Woher wissen wir das so genau?

Colette Rose: Die Vereinten Nationen betreiben diese Berechnungen seit 1950. Sie beruhen beispielsweise auf Bevölkerungszählungen und Sterberegistern in den meisten Ländern der Erde. Die Ergebnisse werden immer besser. Und im Nachhinein ist zu sehen, dass sie der Wirklichkeit ziemlich nahe kommen. Trotzdem ist der 15. November ein gegriffenes Datum. Wir wissen nicht präzise, wo und wann der achtmilliardste Mensch auf die Welt kommt.

Koch: Intuitiv denkt man: „Hilfe, das sind zu viele“. Manche Leute hierzulande haben Angst vor dem Kinderreichtum in Afrika, China und Indien. Oder hat sich das Bild von der gefährlichen Überbevölkerung auf anderen Kontinenten zumindest relativiert?

Rose: Diese Angst gibt es immer noch, aber unser Institut versucht ihr entgegenzusetzen. Wichtig zu wissen ist: Das Wachstum der Weltbevölkerung verlangsamt sich. Seit 2020 liegt es unter einem Prozent pro Jahr. Und es wird weiter zurückgehen. Schon heute leben zwei Drittel aller Menschen in Ländern, wo Frauen im Durchschnitt weniger als zwei Kinder gebären. Das heißt, die Bevölkerung wächst dort nicht mehr. Der Trend weist auch in Afrika in diese Richtung. 1990 wurden auf dem Kontinent durchschnittlich sechs Kinder pro Frau geboren, heute sind es knapp über vier und 2050 wahrscheinlich unter drei.

Koch: Verbergen sich im Diskurs über die „Bevölkerungsexplosion“ nicht auch rassistische Motive der Europäer gegenüber der von ihnen einst beherrschten Bevölkerung der ehemaligen Kolonien?

Rose: Wir plädieren dafür, auf die Fakten zu achten. Beim Thema Migration wird mitunter Angstmacherei betrieben. Tatsächlich haben die weitaus meisten Menschen in Afrika gar nicht den Wunsch und das Geld nach Europa auszuwandern. Wenn sie ihre Heimat verlassen, bleiben sie innerhalb ihrer Region. Andererseits braucht Deutschland auch Zuwanderung. Sie ist notwendig, um unser Sozialsystem zu finanzieren und den Bedarf an Arbeitskräften zu decken.

Koch: Kann man es auch als Fortschritt betrachten, dass die Weltbevölkerung wächst?

Rose: Auf jeden Fall. Eine Ursache besteht ja darin, dass die Menschen länger leben. Die Lebenserwartung nimmt zu, weil beispielsweise die medizinische Versorgung besser wird. Vorübergehend führt das zu höheren Bevölkerungszahlen. Ein, zwei Generationen später sinkt dann aber die Geburtenrate. Wenn mehr Kinder überleben, braucht man weniger Nachwuchs.

Koch: Trotzdem zielt auch die deutsche Entwicklungspolitik darauf ab, das Bevölkerungswachstum in Afrika zu verringern. Warum genau?

Rose: Ich möchte es anders sagen. Das primäre Ziel besteht darin, die Lebensbedingungen zu verbessern. Wenn das gelingt, sinkt das Bevölkerungswachstum. Wo weniger Menschen sterben, werden weniger geboren.

Koch: Die Bewohner der reichen Länder belasten die Erde mit Abgasen, Müll und Flächenverbrauch stärker als es die wachsenden Populationen der armen Länder tun. Ist die angestrebte Verringerung der Geburtenrate eigentlich ein Versuch unsere Privilegien zu sichern?

Rose: Wenn es so wäre, müsste dieser Versuch fehlschlagen. Die Industriestaaten müssen ihren Konsum reduzieren, wir leben hier über unsere Verhältnisse. Trotz ihres höheren Bevölkerungswachstum verbrauchen die ärmeren Länder viel weniger Ressourcen. Sie sind deshalb auch nicht in erster Linie für den Klimawandel verantwortlich. Eine wichtige Zukunftsfrage lautet aber: Wie lassen sich die Lebensbedingungen verbessern, ohne die Umweltbelastung zu vergrößern?

Koch: Wie geht die Entwicklung weiter, wann wird der Höhepunkt der Bevölkerungskurve erreicht sein?

Rose: Wir können davon ausgehen, dass wir 2050 knapp zehn Milliarden Menschen sein werden. Und um 2080 könnte die Weltbevölkerung mit 10,4 Milliarden ihren Höhepunkt erreichen. Danach setzt wahrscheinlich eine Schrumpfung ein. Das aber hängt auch von unseren heutigen Investitionen etwa in die Gesundheitssysteme ab.

Bio

Colette Rose arbeitet als Expertin für internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Info

Acht Milliarden

Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung lebt in Deutschland – 83 Millionen von acht Milliarden Einwohnern. Viel mehr werden es hier wohl auch nicht mehr, dann könnte die Kopfzahl zurückgehen. Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern: Indien wird China wohl überholen und auf 1,6 Milliarden Personen wachsen. Für Nigeria in Afrika rechnen die Experten der Vereinten Nationen mit 500 Millionen Menschen oder mehr. Erstaunliche Zahlen: Vor 2000 Jahren, um Christi Geburt herum, lebten auf der ganzen Welt nur 200 bis 300 Millionen Leute.

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