Zeitarbeit steckt in der Bewährungsprobe

Industrie konnte noch nie Tausende so schnell vor die Tür setzen / Verleihbranche ist dennoch nicht deprimiert

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Von Wolfgang Mulke

04. Dez. 2008 –

Vom Ingenieur bis zum Hilfsarbeiter reicht die Berufspalette der von vielen Menschen ungeliebten Branche Zeitarbeit. Die Leiharbeiter gelten vielen als Arbeitnehmer zweiter Klasse, der weniger verdient und nur bei Bedarf eingesetzt wird. Derzeit ist die Nachfrage nach Facharbeitern oder Ingenieuren vor allem in der Autoindustrie denkbar gering. Kaum ein Tag vergeht, an dem Opel, Daimler oder Ford nicht Tausende Leiharbeiter zurück zu den Verleihern schicken. Die Boombranche Zeitarbeit schliddert in die Krise.

 

Den Höhepunkt hat das Geschäft mit Arbeitskräften wohl vorerst einmal überschritten. 794.000 Leiharbeiter waren im Sommer bundesweit im Einsatz, 155.000 mehr als im Jahr zuvor. Seit Beginn des Jahrzehnts hat sich die Zahl mehr als verdoppelt, weil die zuvor strenge Regulierung gelockert wurde. Vor allem bei Hilfspersonal sowie in der Metall- und Elektroindustrie setzen Betriebe auf Mitarbeiter von außen. Aber auch Verwaltungsposten und Ingenieursstellen werden mit geliehenem Personal besetzt. Jetzt zeigt die Kurve steil nach unten. „Wir gehen davon aus, dass 15 Prozent gekündigt werden oder befristete Verträge auslaufen“, sagt der Leiharbeits-Experte der Gewerkschaft Verdi, Gerd Denzel. Vor allem rund um die Autoindustrie werden die Leiharbeitsfirmen kämpfen müssen. „Dort sehen wir große Probleme“, erläutert die Chefin der Interessengemeinschaft Zeitarbeit (IGZ), Ariane Durian. Pessimisten befürchten sogar den Verlust von 100.000 Stellen in der Branche. Genaue Zahlen zur aktuellen Entwicklung gibt es nicht. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hinkt mit der Erfassung hinterher.

 

Wer bei Audi, BMW & Co vor die Tür gesetzt wird, landet nicht gleich wieder auf dem Arbeitsamt. Ein großer Teil der Betroffenen ist fest beim Verleiher angestellt. Je zur Hälfte befristet und unbefristet sind beispielsweise die Verträge bei den 57.000 Leiharbeitern den Branchenriesen Randstat. „Zunächst versuchen wir den Mitarbeiter anderweitig einzusetzen“, sagt Sprecherin Petra Timm. So könnten Beschäftigte aus der Autobranche auch beim Flugzeugbau unterkommen. Dort ist die Krise noch nicht angekommen. Auch bei den Energieunternehmen und in der Lebensmittelproduktion ist die Nachfrage klaut Timm weiterhin vorhanden. Immerhin sucht Randstat immer noch über 7.000 Leute.

 

Wenn es aber keine neuen Arbeitsplätze für die nicht mehr benötigten Arbeitnehmer gibt, ist der Rauswurf wahrscheinlich. Es gelten die üblichen Kündigungsfristen. Das ist wohl auch der Grund, warum die Entlassungswelle der Automobilindustrie sich noch nicht in der Arbeitslosenstatistik widerspiegelt. Die Kunden der Verleihfirmen müssen lediglich eine viertägige Frist einhalten. Dann sind sie das unerwünschte Personal los. Noch geht es nur Teilen der Verleihbranche schlecht. „Wir merken noch gar nichts“, versichert Verbandschefin Durian, die hauptberuflich Dienstleistungspersonal vermittelt. Auch im Maschinenbau seien die Auftragsbücher noch gut gefüllt.

 

Die Industrie schätzt die große Flexibilität durch die Leiharbeit. Den Gewerkschaften ist die Branche ein Gräuel. Denn das zugekaufte Personal verdient oft deutlich weniger als das Stammpersonal und kann ohne Sozialplan wieder aus dem Betrieb entfernt werden. Denzel fordert daher mehr Regulierung der Verleihfirmen und eine bessere Bezahlung der Leiharbeiter. Dagegen ist Leiharbeit für Durian ein gesellschaftlicher Segen. Ohne diesen Puffer zur regulären Beschäftigung hätten viele Firmen längst ihre Stammbelegschaft abgebaut und zum Arbeitsamt geschickt.

 

Wohin die Reise geht, vermag derzeit niemand einzuschätzen. Immerhin müssen die Leiharbeiter nicht zwangsläufig arbeitslos werden. Denn seit kurzem dürfen auch die Verleihfirmen Kurzarbeit anmelden. Ob sie dies auch tun oder die dann fälligen Sozialbeiträge einsparen wollen und gleich entlassen, lässt sich derzeit noch nicht belegen.

 

 

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