Zeitmaschine Energiewende
Leitartikel zur Reform der erneuerbaren Energien von Hannes Koch
04. Apr. 2014 –
Lassen wir uns von der Zeitmaschine kurz ins Jahr 2044 transportieren. Der größte Teil des Stroms in Deutschland kommt aus Wind- und Sonnenkraftwerken. Die Rotoren draußen auf dem Meer sind inzwischen so leistungsstark, dass ihr Saft auch für die vielen Elektroautos reicht. Wenn es dann mal wieder zu einer Krise wie um die Ukraine kommt, können wir den Autokraten dieser Welt entgegnen: Verbrennt Euer dreckiges Gas und Öl selbst, wir brauchen es nicht mehr. Wir haben unsere eigene Energie.
Unabhängigkeit kann von Vorteil sein. Die Energiewende mag dazu beitragen. Aus dem Jahr 2044 zurückgeblickt, dürfte unser heutiger Streit um Zehntel-Cent-Beträge recht unbedeutend erscheinen.
Nun aber rasch zurück in's Jahr 2014. Die Richtung, die die Regierung einschlägt, ist nicht schlecht. Wenn ihre Rechnung stimmt, wird die Ökoumlage, die die Bürger und meisten Firmen für die erneuerbaren Energie bezahlen, in den kommenden Jahren nur noch wenig steigen. 2020 sollen es sieben Cent pro Kilowattstunde Strom sein, statt heut 6,2 Cent. Das erscheint verkraftbar. Die Aufregung der vergangenen Jahre könnte sich legen.
Dafür ist die Reform mitverantwortlich, die die Bundesregierung in der vergangenen Woche mit den Ländern ausgehandelt hat und die sie am kommenden Dienstag offiziell beschließen will. Die Förderung für Wind-, Sonnen- und Biomasse-Kraftwerke wird künftig nicht mehr so großzügig fließen wie bisher. Das spart Geld. Die Zusatzbelastung durch neue Ökoanlagen sinkt. Allerdings spielt auch eine Rolle, dass diese heute schon viel effizienter arbeiten als früher. Manche Windanlagen können mit Gas- und Kohlekraftwerken inzwischen locker konkurrieren, billiger als Atomkraftwerke sind sie allemal.
Dennoch wäre es besser, wenn der Preis für die erneuerbaren Energien, den die Bürger entrichten, nicht stiege, sondern stabil bliebe. Vermutlich ließe sich das erreichen, indem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Ausnahmen für Industrieunternehmen stärker einschränkte. Denn über 2.000 müssen sich heute kaum an der Umlage für die Ökokraftwerke beteiligen – die Privathaushalte und die Mehrheit der Firmen tragen deshalb jedes Jahr rund fünf Milliarden Euro zusätzlich.
Gabriel aber traut sich nicht. Hoffentlich jedoch kann ihn die EU-Kommission davon überzeugen, die Konzerne etwas stärker zur Finanzierung der Energiewende heranzuziehen. Gelingt dies nicht, könnte es sich rächen, indem die Zustimmung der Bürger zu dem Jahrhundertprojekt weiter abnimmt.
In jedem Fall bleibt auch für die kommenden Jahre einiges zu tun. Denn fatalerweise steigt der Ausstoß klimaschädlicher Abgase aus deutschen Kraftwerken in letzter Zeit wieder an – trotz des wachsenden Anteils der erneuerbaren Energien. Die Verschmutzungszertifikate, die die Kohlekraftwerke kaufen müssen, sind einfach zu billig. So gilt es, diese Genehmigungen mit Hilfe der EU derart zu verknappen, dass ihr Preis wieder steigt und die Kohlestromproduktion zurückgeht.
Außerdem muss sich die Bundesregierung genau überlegen, wie sie die Ökokraftwerke in einigen Jahren noch fördern will. Schließlich verlangt die EU eine Abkehr von den gegenwärtigen Festbeträgen und den Übergang zu einem marktwirtschaftlich organisierten System. Das ist keine leichte Aufgabe - besonders wenn man sicherstellen will, dass auch Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften weiterhin eine Chance haben.
Wenn das alles jedoch einigermaßen funktioniert, erleben wir in 30 Jahren vielleicht, dass Energie für uns billiger ist als für andere Staaten. Schließlich kosten Wind und Sonne nichts im Vergleich zu Uran, Kohle, Erdöl und Erdgas, die man aus immer tieferen Löchern an die Oberfläche befördern muss. So kann die Energiewende eine Zeitmaschine werden, die uns in die Zukunft befördert – in eine gute Zukunft.