Zu früh
Kommentar zu Zinssenkungen
12. Apr. 2024 –
Für eine Zinssenkung ist es zu früh
Die EZB hält sich zurück. Die Lage ist zu unübersichtlich für schnelles Handeln
Von Björn Hartmann
Ach, wäre das schön gewesen! Man stelle sich vor: Die Europäische Zentralbank senkt die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte, wie sich viele auch deutsche Politiker das wünschen. Geld wird billiger, Kredite auch. Die Unternehmen investieren mehr. Die Wirtschaft wird ankurbelt. Allein: Die gesamtwirtschaftliche Realität in der Euro-Zone ist nicht so. Deshalb belässt die Notenbank den wichtigen Leitzins bei 4,5 Prozent – zu Recht.
Die Aufgabe der EZB ist, die Preise möglichst stabil zu halten. Und zwar in der gesamten Euro-Zone, nicht nur in Deutschland. Für eine Zinssenkung steigen sie noch zu stark. In der Euro-Zone betrug die Inflationsrate im März 2,4 Prozent. Das ist deutlich weniger als der Spitzenwert von 10,6 Prozent aus dem Oktober 2022. Doch die EZB strebt nahe zwei Prozent an – ein Wert, der als richtig für gesundes Wirtschaftswachstum gilt.
Die Zeit ist, wie Notenbank-Chefin Christine Lagarde sagt, noch nicht reif, die Zinsen zu senken. Die Notenbank möchte sicher gehen, dass die Inflation wirklich zurückgeht. Noch steigen europaweit die Löhne tendenziell, was mehr Nachfrage bedeutet und höhere Preise bedingen kann. Und die Kerninflation, bei der die derzeit fallenden Lebensmittel- und Energiepreise herausgerechnet sind, liegt bei 2,9 Prozent. Eine gewisse Sicherheit ist wesentlich für die EZB. Die Zinsen zu senken und sie dann wieder erhöhen zu müssen, weil die Notenbank die Lage falsch eingeschätzt hat und die Inflation wieder steigt, wäre gefährlich, weil es Vertrauen verspielt – eine wichtige Währung an den Finanzmärkten, ohne die die Wirtschaft nirgends richtig läuft.
Und auch wenn die EZB unabhängig über die Leitzinsen entscheidet, blickt sie dennoch in die USA. Schon wegen des internationalen Finanzgefüges, in dem Euro und Dollar wichtig sind. In Washington hält die mächtige Notenbank Fed die Leitzinsen derzeit hoch. Auch dort ist die Inflation gesunken, doch die Wirtschaft läuft trotz der hohen Zinsen sehr gut – unter anderem wegen der staatlichen Subventionen im Zuge des Inflation Reduction Acts, der klimafreundliche Energien fördern soll. In dieser Situation die Zinsen zu senken, könnte die Teuerung befeuern, was die Fed verhindern will.
Im Juni, bei der nächsten Sitzung des EZB-Rates mag sich die Lage stabilisiert haben, der Ausblick klarer sein. Die Notenbank könnte dann die Zinsen senken. Dass es jetzt nicht passiert, ist für die deutschen Sparer mit ihrem Hang zu Fest- und Tagesgeldkonten eine gute Nachricht. Die Banken würden die Sparzinsen sonst wahrscheinlich sofort senken. Für deutsche Politiker ist die Nachricht eher schlecht. So gern sie niedrigere Zinsen sähen, sie müssen die heimische Wirtschaft doch anders in Schwung bringen – zum Beispiel mit klareren Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie, finanzieller Entlastung.