Zwischen Umweltverantwortung und Ökolyrik

Viele Unternehmen aus Deutschland sind Vorreiter für eine grüne Wirtschaft. Rückschläge bleiben aber möglich

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Von Hannes Koch

21. Mär. 2014 –

Wer wissen will, welchen Schaden die Produktion seines Sportschuhs der Natur zufügt, wird bei Puma schlauer. Auf 4,29 Euro beziffert der Sportartikelhersteller die ökologischen Kosten eines Paars des Modells „Suede“ - darunter 2,16 Euro für den Ausstoß klimaschädlicher Abgase und 61 Cent für Wasserverschmutzung.

 

Für die gesamte Produktion des Jahres 2010 summierten sich die errechneten Umweltkosten bei Puma auf 145 Millionen Euro. Derartige Beträge müsste die Firma eigentlich Jahr für Jahr zahlen, wollte sie dazubeitragen, ihre Umweltschäden wieder auszugleichen. Tut sie aber nicht. An wen auch? Die Natur hat kein Konto – und der deutsche Staat verlangt solche Entschädigungen nicht. Die Berechnungen dienen dem Unternehmen im bayerischen Herzogenaurach nur als interner Ansporn, die Produktion Schritt für Schritt umweltfreundlicher zu machen.

 

Einerseits ist das inkonsequent, andererseits ein großer Fortschritt. Dass ein global tätiges Unternehmen freiwillig solche Zahlen präsentiert, ist ein Beispiel dafür, wie relativ grün die Wirtschaft schon geworden ist. Im Gegensatz zu früher weichen heute auch viele andere Firmen den unangenehmen Fragen nach den von ihnen verursachten ökologischen Schäden nicht mehr aus. International betrachtet liegt Deutschland in der Spitzengruppe der Länder, die sich am ehesten bemühen, die Umwelt zuschützen – auf vielfältige Weise.

 

Umweltberichte

Besonders für international agierende Aktiengesellschaften, aber auch mittelständische Unternehmen gehört es heute zum guten Ton, Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen. Darin informieren sie über ihre Anstrengungen, sozial und ökologisch verantwortlich zu handeln. Vieles davon stimmt, manches ist aber auch Ökolyrik. In jedem Fall setzen sich die Firmen mit diesen Veröffentlichungen selbst unter Druck, grüner zu werden.

 

Öko-Produkte

„Ich bin überzeugt, dass die Umweltfreundlichkeit von Produkt und Herstellung zunehmend eine Rolle spielen wird", sagt Wolfram Thomas, der Umweltbeauftragte des VW-Konzerns. Das ist nicht nur Theorie, sondern auch Praxis. So werben Autohersteller offensiv mit der ökologischen Qualität ihrer Fahrzeuge – klein, wenig Benzinverbrauch, Elektroantrieb, leichte Werkstoffe. Bei anderen Produkten spielen Umweltkriterien ebenfalls eine zunehmende Rolle. Beispielsweise bei Elektrogeräten müssen die Hersteller die Energieklasse angeben. Geringer Energieverbrauch ist grün markiert und lockt die Kunden.

 

Neue Wirtschaftszweige

Ganze Branchen sind in den vergangenen Jahrzehnten entstanden. So haben die Hersteller von Bio-Lebensmitteln inzwischen knapp vier Prozent Marktanteil erobert. Ihr Umsatz hat sich seit 2000 mehr als verdreifacht – auf 7,5 Milliarden Euro 2013. Eine Nische, aber eine wachsende.

 

Ethische Geldanlage

Ähnlich sieht es im Finanzgeschäft aus. Jürgen Röttger von ECOreporter in Dortmund sagt, dass im vergangenen Jahr in Deutschland rund 30 Milliarden Euro in nachhaltigen Fonds angelegt waren, was 1,5 Prozent aller hiesigen Fondsinvestitionen ausmachte. Ethische Fonds schließen beispielsweise die Geldanlage in Atomkraft, Rüstung oder Kohlestrom aus. Auch konventionelle Banken und Finanzfirmen achten zunehmend auf die ökologische Qualität ihrer Investments, weil sie Wertrisiken etwa durch Umweltschäden ausschließen wollen.

 

Markt und Moral

Woher kommt diese Entwicklung? Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr hat die These von der „Moralisierung der Märkte“ formuliert. Neue Käuferschichten mit neuen Ansprüchen - die „Ökos“, die „Alternativen“, die „Grünen“ - kaufen demnach Produkte nicht nur wegen ihres Gebrauchswertes, sondern zunehmend wegen ihres sozialen und ökologischen Mehrwertes. Die Unternehmen stellen sich auf diese politischen Konsumenten ein, weil sie natürlich auch mit ihnen Geld verdienen können.

 

Neue Gesetze

Politische Konsumenten sind auch Bürger, die zur Wahl gehen. Ihr Wille schlägt sich beispielsweise darin nieder, dass deutsche Bundesregierungen regelmäßig sehr ehrgeizige Klimaschutzprogramme umsetzen. So soll die hiesige Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Eine Folge: Immer neue Gesetze, die die Unternehmen zu mehr Ökologie zwingen.

 

Entkoppeltes Wachstum

Im Ergebnis ist Deutschland dabei, eine der ganz großen ökonomischen Fragen zu beantworten: Ist zunehmender Wohlstand ohne zusätzliche Umweltzerstörung möglich? Anscheinend ja, zumindest teilweise. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wächst unsere Wirtschaft, während die Kohlendioxid-Emissionen sinken. Vielleicht lassen sich mit einer ähnlichen Entkopplung auch andere ökologische Probleme lösen oder entschärfen.

 

Rückschlag-Effekte

Aber nicht alles geht in ökologischer Hinsicht vorwärts, manches auch rückwärts. Die Motoren der Fahrzeuge werden zwar sparsamer, doch mehr Autos sind auf mehr Straßen unterwegs, die mehr Natur entwerten. Ein anderes Beispiel: Durch Fracking, bei dem giftige Stoffe in den Boden gepresst werden, fördern die USA große Mengen Erdöl und Gas. Die Bundesregierung will diese Methode zwar vorläufig verbieten. Aber wer weiß? Wie geht es weiter, wenn Deutschland weniger von russischem Gas abhängig sein will? Die Ökologie ist nur ein Faktor, der Ökonomie und Politik beeinflusst. Er steht in Konkurrenz zu anderen – beispielsweise Sicherheitsinteressen.

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