„Deutschland könnte aus seinem Hoheitsgebiet Satelliten starten“

OHB-Chef Marco Fuchs über die Chancen von New Space

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Von Björn Hartmann

28. Dez. 2021 –

Kleinere Raketen und Satelliten, Startplätze in Europa, Forschungsstationen auf dem Mond: Das All ist interessant, wie lange nicht mehr – für Weltraumfans wie Investoren. Marco Fuchs, Vorstandschef des Raumfahrtunternehmens OHB aus Bremen erklärt, welche Chancen sich bieten, wo Deutschland und Europa stehen und was das All mit Klimaschutz zu tun hat.

Die Amerikaner schicken eine Sonde ins All, die einen Asteroiden rammen soll, es gibt Pläne für den Breitbandanschluss des Mondes, Weltraumtourismus. Was ist da los?

Marco Fuchs: Raumfahrt hat im Moment eine unglaubliche Dynamik. Es gibt viele Ideen. Dank des technischen Fortschritts sind Dinge, die lange Zeit undenkbar waren, jetzt machbar. Vor allem in Amerika wird sehr viel auch privates Geld investiert. Außerdem erkennen viel mehr Menschen den Nutzen der Raumfahrt als früher.

Übernehmen Investoren das All?

Es gibt immer noch die großen staatlichen Weltraumagenturen wie Nasa in den USA und ESA in Europa. Der große Unterschied im Vergleich zu früheren Jahrzehnten ist SpaceX von Elon Musk, Marktführer bei Raketen. Dann ist da noch Blue Origin, hinter dem Jeff Bezos von Amazon steht. Tatsächlich werden bereits seit Jahrzehnten privat Milliarden im All investiert, vor allem bei Telekom- und Fernsehsatelliten.

Aber Internet auf dem Mond ist schon ein bisschen irre?

Da kann man sich fragen, ob das überhaupt kommt. Andererseits: Es wird wieder Menschen auf dem Mond geben, Forschungsstationen vergleichbar den Antarktisstationen. Außerdem ist die Zahl der Ziele begrenzt. Wir können zum Mond fliegen, zum Mars, vielleicht noch zur Venus. Dann kann man sich noch in größeren Raumschiffen aufhalten. Alles andere lässt sich in einem Menschenleben nicht sinnvoll erreichen.

Zurzeit ist der Trend New Space – kleinere Satelliten, Schwärme von Sonden, kleinere Raketen, Massenfertigung. Woran liegt das?

Im Zuge der Digitalisierung wird alles kleiner. Die Rechner sind leistungsfähiger, viele Funktionen, für die vor 20 Jahren Hardware nötig war, hat Software übernommen. Das ist vergleichbar mit Mobiltelefonen: vor 20 Jahren zum Aufklappen und Telefonieren, heute ein mobiler Computer mit Kamera, Diktiergerät, Bildschirm, Stimmgerät für eine Gitarre und und und. Bei Satelliten gibt es aber eine Grenze: Sie brauchen Solarpanel, Antennen, Batterien, Sende- und Empfangseinheiten. Kleinere Satelliten werden nicht alles machen können, deshalb wird es die ganze Bandbreite geben, von fünf Kilo bis fünf Tonnen.

Wie kann Europa mithalten?

Europa steht gut da. Es gibt mit Airbus, Thales Alenia, OHB starke Firmen. Bei Satelliten, die den Nutzen stiften, sind wir in Europa Weltspitze. Bei Raketen sind wir nicht mehr so stark. Da sind wir zurückgefallen. Mit Ariane 6, die 2023 fertig sein sollte, wird sich das wieder ändern. Dass Amerika bei Raketen weit vorn ist, hat auch mit der privatwirtschaftlichen Struktur von SpaceX zu tun.

Und der illustren Persönlichkeit von Elon Musk.

Das ist der entscheidende Punkt. Niemand hat sich bei SES wegen des privaten Unternehmertums begeistert. Jetzt haben wir eine Weltraumbranche, die auch von schillernden Figuren im California Style angeführt wird. Und von immensen Ambitionen. SpaceX strebt die Besiedelung des Mars an. Das hätte sich selbst die Nasa nicht getraut.

Welche Chancen bietet New Space?

Der Markt wird viel größer, es entstehen neue Geschäftsmodelle. Bei der Erdbeobachtung etwa über Copernikus liefern staatliche Satelliten Rohdaten, aus denen Unternehmen dann gezielte Angebote etwa für die Forstwirtschaft entwickeln. Privatwirtschaftlich interessant sind vor allem Telekommunikation und das Konstellationsgeschäft, also Satellitenschwärme. Wir haben gerade den Auftrag für Spacelink gewonnen, eine Konstellation, bei der die Satelliten untereinander und mit der Erde per Laser kommunizieren. Spacelink ist ein sogenannter Backbone. Kunden mit einem eigenen Satelliten können die Kommunikationsleistungen nutzen.

New Space hat es in den Koalitionsvertrag geschafft. Wie bewerten sie das?

Sehr gut. Raumfahrt ist Schlüsseltechnologie, eine wichtige Zukunftstechnologie. Und die Regierung will die Raumfahrt stärken, sowohl die ESA als auch das nationale Programm. Und auch die ausdrückliche Nennung von New Space ist wichtig, weil es symbolisiert, dass man auch innovationsstarke private Raumfahrtprojekte unterstützen will.

Die kleineren Raketen, an denen drei deutsche Firmen arbeiten, unter anderem die OHB-Tochter RFA in Augsburg, sollen von einem Schiff im äußersten Zipfel der Ausschließlichen Wirtschaftszone Deutschlands in der Nordsee starten. Klingt gewagt.

Das ist technisch nicht so schwierig, das ist immer schon früher gemacht worden. Die russisch-ukrainische Zenit-Rakete wurde von einer umgebauten schwimmenden Bohrplattform im Meer gestartet. Auf See gefährdet man niemanden. Und mit Ausnahme von Kasachstan starten alle Raketen in Französisch-Guayana, Florida, Kalifornien zum Meer hin.

Warum plant ein Konsortium das für Deutschland?

Zum einen: Deutschland könnte aus seinem Hoheitsgebiet Satelliten starten, ohne mit irgendwem darüber reden zu müssen. Ohne schwierige Exportlogistik, Kontrollen, Ausfuhrfragen. In einer Welt, in der schnelle Reaktionen nötig sind, ist das wichtig. Sie können dann einen Beobachtungssatelliten starten, um zum Beispiel die Hochwasserschäden im Ahrtal zu untersuchen. Zum anderen: Eine Startplattform auf einem Schiff ist mobil. Sie können überall das gleiche liefern: Startmöglichkeiten aus der eigenen hoheitlichen Zone. Wir entwickeln in Deutschland, weil wir ein deutsches Konsortium sind. Der Standort Nordsee hat auch technische Vorteile.

Welche?

Man kann nach Norden vollständig über Wasser starten, zwischen Großbritannien und Norwegen hindurch, wichtig für Satelliten, die die Erde von Pol zu Pol umkreisen sollen. Und wenn man nicht genau nach Norden startet, lassen sich die Satelliten auf eine sonnensynchrone Bahn schicken. Die haben dann den ganzen Tag über Sonne und entsprechend Energie. So kann man aus einem kleinen Satelliten mehr herausholen. Die Flugbahn ist ideal für Satelliten zur Erdbeobachtung. Es ist dann immer hell.

Wie ist 2021 für OHB gelaufen?

Insgesamt ganz gut, obwohl wir Anfang des Jahres den Auftrag für die zweite Generation der Galileo-Satelliten nicht gewinnen konnten. Das Jahr war durch die Pandemie auch etwas gebremst. Aber wir sind im Plan. Die Zahlen laufen recht gut, die Auftragsbücher sind voll. Ich bin ganz zufrieden.

Was erwarten Sie für 2022?

Wichtig ist im Herbst die Ministerratskonferenz bei der ESA. Da werden neue Programme im öffentlichen Sektor beschlossen. Für OHB speziell spannend ist, wie sich die neue Bundesregierung zu Raumfahrt aufstellt. Der Koalitionsvertrag war sehr gut, jetzt hoffen wir, dass das auch aktiv umgesetzt wird. Und wir planen Wachstum.

Raketen verbrennen viel fossilen Brennstoff. Brauchen wir Raumfahrt unter Klimagesichtspunkten?

Raketen sind tatsächlich eine Klimabelastung, weil sie Verbrennungsprozesse haben. Um eine Rakete starten zu können, ist eine bestimmte Energiedichte nötig, die sich bisher nicht anders erzeugen lässt. Es wird viel geforscht. In einem ersten Schritt werden grüne Treibstoffe eingesetzt werden. Dass wir aber in nächster Zeit ohne Verbrennung starten können, ist wenig wahrscheinlich.

Also verzichten?

Man muss sich schon überlegen, wie man den Klimaaufwand im Verhältnis zum Nutzen rechtfertigt. Aber Raumfahrt ist für den Klimaschutz unersetzlich.

Wie das?

Sie müssen beim Klimaschutz aus der Phase des Verstehens und Erkennens raus in eine Phase des Handelns und Sanktionierens. Absichtserklärungen allein helfen nicht. Und um einem Land nachzuweisen, dass es zum Beispiel entgegen der eigenen Aussage doch Wald abholzt, muss man permanent und großflächig überwachen. Das geht nur mit Satelliten aus dem All. Von da aus können Sie die Erde sehen, ohne dass etwas abgedeckt, ohne dass manipuliert werden kann. Und man braucht deutlich genauere Daten als bisher.

Das geht vielleicht für Wald. Aber wie sieht es mit dem Gas CO2 aus?

Wir bauen gerade die CO2-Satelliten für das europäische Copernikus-Programm. die werden den Ausstoß erkennen können. Aber nur erkennen, reicht nicht. Es muss auch drakonische Strafen geben. Die Verursacher müssen merken, dass sie womöglich ins Gefängnis müssen.

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