140 Überstunden in der Weihnachtsproduktion
Chinesische Spielzeug-Zulieferer für Lego, Walt Disney und Mattel ignorieren die Gesetze, sagen Arbeitsrechtler
13. Dez. 2011 –
Bis zu sechs Überstunden pro Tag müssen Beschäftigte in chinesischen Spielzeug-Fabriken leisten. Ihre tägliche Arbeitszeit beträgt dann etwa 15 Stunden – sechs Tage die Woche. Das hat die Arbeitsrechtsorganisation Sacom in drei Fabriken festgestellt, die unter anderem die Unternehmen Lego, Walt Disney und Mattel beliefern. Derartige Arbeitzeiten verbietet nicht nur der Verhaltenskodex des Internationalen Verbandes der Spielzeugindustrie, sondern auch das chinesische Arbeitsgesetz.
In China ist die Zahl der Überstunden auf 36 im Monat beschränkt. In den Fabriken, die Sacom besucht hat, summiert sich die Zusatzarbeit jedoch auf bis zu 140 Stunden pro Monat. Die Organisation Sacom („Studenten und Professoren gegen Fehlverhalten von Konzernen“) mit Sitz in Hongkong gewinnt ihre Erkenntnisse, indem sie Arbeiter in den chinesischen Fabriken befragt oder Sacom-Leute bei den Firmen vorübergehend anheuern. Die Organisation kooperiert unter anderem mit dem katholischen Hilfswerk Misereor in Deutschland.
Für die horrenden Überstunden gibt es zwei Gründe. Einerseits stehen viele Zulieferfirmen unter dem Druck der globalen Marken-Konzerne, um jeden Großauftrag flexibel und pünktlich zu erledigen. Wenn die Zahl der Beschäftigten eigentlich nicht reicht, wird Mehrarbeit angeordnet – was nicht nur in der Produktion für Weihnachten gang und gäbe ist. Etwa 60 Prozent des Spielzeugs kommen aus China.
Zweitens bezahlen viele chinesische Unternehmen ihre Belegschaften auf der Basis des Mindestlohns der jeweiligen Provinz, der beispielsweise 1.300 Renmimibi monatlich beträgt (153 Euro). Damit kann sich eine junge Arbeiterin auf bescheidenem Niveau finanzieren. Schwer ist es aber, davon eine Familie zu versorgen. Deshalb arbeiten die chinesischen Beschäftigten in der Regel auch freiwillig mehr als die gesetzlich erlaubten Überstunden.
Derartige Bedingungen hat Sacom in der Firma Sturdy Products in Shenzhen nördlich von Hongkong entdeckt. Nach Angaben der Arbeitsrechtler lassen dort Disney Spielzeugautos der Serie „Cars“ und Mattel der Serie „Hot Wheels“ herstellen. Arbeiterinnen dort würden bis zu 120 Überstunden leisten, sagt Debby Chan von Sacom. In der benachbarten Hung-Hing-Druckerei, die unter anderem für Lego Kinderbücher und Kartons fertigt, würden bis zu 100 Überstunden verlangt. In einer dritten Firma in Dongguan, die unter anderem für Disney arbeitet, erreichte die Mehrarbeit 140 Stunden monatlich.
In ihrer Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung räumte Lego-Sprecherin Charlotte Simonsen ein, dass die Hung-Hing-Druckerei möglicherweise das Gesetz und den Verhaltenskodex des Spielzeugverbandes (ICTI Care) gebrochen habe. Das werde man untersuchen. Bestätigten sich die Vorwürfe, gebe es nur zwei Alternativen: Entweder Hung Hing ändere seine Praxis, oder Lego werde sich von dem Zulieferer trennen.
Das US-Unternehmen Walt Disney wies auf Anfrage nur allgemein auf seinen Verhaltenskodex hin, zum konkreten Vorwurf gab es keine Informationen. Der US-Spielzeugkonzern Mattel hat die Anfrage unserer Zeitung bis Dienstag Nachmittag ignoriert.
In ihrem Report beschuldigt Sacom die Unternehmen weiterer Missstände – unter anderem stünden den Beschäftigten keine Schutzkleidung gegen giftige Substanzen zur Verfügung und man verweigere ihnen das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung. Letzteres gehört in China ebenso zum Alltag wie die exzessive Überstundenarbeit. Am Verhaltenskodex des Verbandes ICTI lässt Sacom kein gutes Haar. Mit seinen offenbar wirkungslosen Prüfungen einzelner Firmen trage der Verband dazu bei, die Verletzung von Arbeitsrechten zu decken, anstatt diese auszuräumen.
Info-Kasten
Worauf kann man beim Spielzeug-Kauf achten?
Kein Sozialsiegel
Ein Siegel für sozialverträglich hergestelltes Spielzeug, das auf den Produkten klebt, gibt es nicht. Wer sich interessiert, muss sich vor dem Kauf informieren. Die Aktion „Fair spielt“ unter anderem von Misereor veröffentlicht eine Liste mit Firmen, die ganz oder überwiegend in Europa herstellen lassen. In dieser Tabelle gibt es auch Angaben zur sozialen Produktqualität der globalen Spielzeugkonzerne.
Eine ähnliche Liste findet man auch beim Deutschen Verband der Spielwaren-Industrie:
http://www.toy.de/news/index1760.html
GS-Zeichen
Das GS-Siegel steht für „geprüfte Sicherheit“. Eine zugelassene unabhängige Prüfstelle untersucht, ob der Hersteller die europäischen Sicherheitsnormen und die Bestimmungen des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches einhält. Organisationen wie der TÜV oder der Verband der Elektrotechnik (VDE) vergeben es. Verbraucher sollten allerdings darauf achten, dass das Zeichen nie allein, also ohne die Angabe der Prüfstelle, auf dem Produkt aufgebracht ist. Fehlt die Angabe, ist es wahrscheinlich gefälscht.
VDE-Zeichen
Dieses Prüfzeichen vergibt der VDE. Es steht für die Sicherheit elektronischer Produkte hinsichtlich elektrischer, mechanischer, thermischer, toxischer, radiologischer und sonstiger Gefährdung.
Spiel gut
Das Gütesiegel wird von einem Arbeitsausschuss vergeben, für den der Spielwert des Produktes im Vordergrund steht. Die Experten beurteilen nach pädagogischen Kriterien. Sie testen Design, Sicherheit und Haltbarkeit. Auch Material und Umweltverträglichkeit bewerten sie.
CE-Zeichen
Alle Spielzeuge auf dem deutschen Markt müssen das CE-Zeichen tragen. Damit verpflichtet sich der Hersteller, die produktspezifisch geltenden europäischen Richtlinien einzuhalten. Im Zweifelsfall sagt das Siegel aber nichts über die Qualität aus. Denn ob sich der Produzent an die Regelungen hält, kontrolliert zumeist niemand.
Kunstmann/ Koch