„2009 nimmt die Arbeitslosigkeit zu“
Der Wirtschaftsaufschwung sei zu Ende, sagt Joachim Scheide, Konjunkturforscher am Institut für Weltwirtschaft in Kiel
11. Sep. 2008 –
Hannes Koch: Bitte sagen Sie uns, dass der Aufschwung noch ein bisschen anhält.
Joachim Scheide: Das kann ich leider nicht. Ich fürchte, er ist zu Ende, vorläufig jedenfalls. Die deutsche Wirtschaft wächst schon im laufenden Quartal nicht mehr. Zwischen Oktober und Dezember 2008 wird sie sogar leicht schrumpfen. Und so geht es 2009 auch erst einmal weiter.
Koch: Welche Wachstumsrate hat Ihre Prognose ergeben?
Scheide: Insgesamt wächst die Wirtschaft in diesem Jahr um 1,9 Prozent. Aber auch nur deshalb, weil das erste Quartal so gut gelaufen ist. Für 2009 rechnen wir nur noch mit einem Plus von 0,2 Prozent.
Koch: Dann nimmt auch die Arbeitslosigkeit wieder zu?
Scheide: Davon muss man ausgehen. Mit 200.000 Erwerbslosen mehr als den 3,2 Millionen im Durchschnitt des Jahres 2008 ist zu rechnen. Die seit 2003 umgesetzten Reformen federn das zwar ab. Aber leider steigen auch die Löhne wieder schneller als vorher.
Koch: Wieso bedauern Sie das? Viele Beschäftigte haben bislang nicht vom Aufschwung profitiert, ihre Löhne stagnieren.
Scheide: Ich wünsche mir auch, dass mein Gehalt um zehn Prozent steigt.
Koch: Sie sind in einer anderen Lage, als ein Niedriglohnjobber.
Scheide: Trotzdem ist die Wirtschaft kein Wunschkonzert. Wenn wir die Arbeitslosigkeit reduzieren wollen, dürfen die Löhne nicht zu stark zunehmen. Sonst leiden die Unternehmen und besonders die Exportwirtschaft.
Koch: Die Gewerkschaft IG Metall fordert mindestens sieben Prozent mehr Lohn. Vermutlich kann sie maximal vier Prozent durchsetzen. Das ist doch kein Harakiri?
Scheide: Wenn vier Prozent herauskämen, wäre das für die Metallindustrie möglicherweise in Ordnung. Gesamtwirtschaftlich müssen wir jedoch deutlich unter drei Prozent bleiben. Damit wir uns aber nicht missverstehen: Neue Jobs schafft man so nicht.
Koch: Ist es nach Jahren des Sparens und sinkender Löhne nicht an der Zeit, dass die Bürger und Beschäftigten ein wenig profitieren?
Scheide: Es kommt darauf an, wie man es macht. Wir plädieren zum Beispiel dafür, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter zu senken.
Koch: Das würde die Bundesagentur Milliarden Euro kosten. Braucht sie dieses Geld nicht, um die erneut ansteigende Erwerbslosigkeit zu finanzieren?
Scheide: Nein, die Agentur hat beträchtliche Reserven angelegt. Man sollte die Bürger weiter entlasten, auch bei den Steuern.
Koch: Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, dass wir eines Staates bedürfen, der gute Schulen finanzieren kann. Wieviel Geld wollen sie dem Gemeinwesen noch entziehen?
Scheide: Die Bundesregierung sollte überflüssige und schädliche Subventionen kürzen, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Das spart Milliarden Euro, die man den Bürgern als Steuererleichterungen zurückgeben kann.
Koch: Wenn der Abschwung einsetzt, werden die öffentlichen Mittel wieder knapp. Plädieren Sie für eine höhere Verschuldung?
Scheide: Im Gegenteil. Wer bei den Ausgaben spart, erarbeitet sich selbst finanzielle Spielräume. Wir lehnen Steuersenkungen auf Pump ab.
Koch: Ist es realistisch, beides zu tun – einerseits die Steuern zu senken und gleichzeitig mehr für Bildung auszugeben?
Scheide: Wenn die Regierung unsere Vorschläge umsetzte, würde sich ein Spielraum von etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr ergeben. Die könnte man zum Beispiel so aufteilen: Die Hälfte für Bildung und andere Investitionen, die andere Hälfte für Steuersenkungen.
Koch: Die Agenda 2010 hat den Bürger einige Opfer abverlangt. Zeigt die gegenwärtige Wirtschaftslage, dass es wenigstens etwas gebracht hat?
Scheide: Ja, die Reformen haben dazu beigetragen, dass die Löhne nicht so stark gestiegen sind wie früher. Für den Einzelnen ist das zwar nicht erfreulich. Aber das Ziel, die Arbeitslosigkeit zu verringern, ist erreicht worden.
Koch: Können Sie diesen Zusammenhang erklären?
Scheide: Die Unternehmen profitieren von geringeren Arbeitskosten, stellen mehr Leute ein und produzieren mehr. Das Potenzialwachstum – die Rate, mit der die Wirtschaft inflationsfrei wachsen kann – ist von gut einem Prozent auf 1,75 Prozent gestiegen.
Koch: Sind die Reformen ein Grund dafür, dass die deutsche Wirtschaft wahrscheinlich nur eine leichte, jedoch keine tiefe Rezession durchmachen wird?
Scheide: Wir sind mittlerweile besser aufgestellt als Frankreich, Italien, Spanien und andere Länder. Unsere Konkurrenzfähigkeit ist enorm. Wir haben kein Haushaltsdefizit und keine Blase auf dem Immobilienmarkt. Uns geht es relativ gut. Aber wir sind natürlich nicht immun gegen die internationale Finanzkrise und die steigenden Rohstoffpreise.
Koch: Ihr Kollege Peter Bofinger hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Wir sind besser, als wir glauben“. Hat er Recht?
Scheide: Es ist typisch deutsch, dass wir alles etwas negativ sehen. Hätte es die rot-grünen Reformen nicht gegeben, würde es uns heute viel schlechter gehen, unser Lebensstandard wäre niedriger. Das sollte man im Gedächtnis behalten angesichts hoher Lohnforderungen.
Info 1
Prof. Joachim Scheide (59) leitet das Prognose-Zentrums am Institut für Weltwirtschaft in Kiel
Info 2
Arbeitslosigkeit
Im Gegensatz zum Institut für Weltwirtschaft (IfW) schätzt die Bundesagentur für Arbeit, dass die Erwerbslosigkeit in Deutschland auch 2009 weiter sinkt. Die BA rechnet im Jahresdurchschnitt 2009 mit 100.000 Arbeitslosen weniger als dieses Jahr, insgesamt etwa 3,16 Millionen Menschen. Das IfW nimmt dagegen an, dass die Zahl um 200.000 steigt. Nach Angaben des Instituts leidet Deutschland unter der schlechten Entwicklung auf den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten: „Weltweit sind die Frühindikatoren auf Talfahrt“. Für 2008 erwartet das IfW weltweit ein Wachstum von nur noch 3,7 Prozent. Viele Länder würden in die Rezession geraten.