3.500 Kilometer neue Stromnetze nötig
Ausbau des Ökostroms wird teuer / Widerstand erschwert den Umstieg auf erneuerbare Energien
05. Okt. 2010 –
Sie nennen sich „Gegenwind“ oder „Achtung-Hochspannung“, „Störwind“ oder „Lebenswertes Langenhorn“. Sie sind Bürgerinitiativen gegen den Ausbau der Infrastruktur für erneuerbare Energien. Die Volksinitiative Windrad will große Ansammlungen von Windrädern in Brandenburg verhindern, Protestler im bayrischen Lech kämpfen gegen ein Wasserkraftwerk, in Thüringen liegt eine Hochspannungsleitung auf Eis, weil Bürger und Politiker den Transport von Windstrom durch den Thüringer Wald nicht wollen. Mal ist es die Furcht vor sinkenden Grundstückspreisen, mal die Furcht vor Elektrosmog, der den Widerstand hervorruft. „Windwahn macht krank“, hieß es kürzlich auf einem Plakat, das Demonstranten vor der Husumer Windenergie-Messe in den Händen hielten.
Dem Land droht damit ein Dauerkonflikt. Denn für den beschlossenen Umstieg auf Ökostrom müssen die vorhandenen Netze ausgebaut und ergänzt werden. Es werden neue Speicherkraftwerke benötigt, um die Versorgung auch in Zeiten von Windflaute oder bedecktem Himmel zu sichern. Daran gibt es auch bei den Grünen keinen Zweifel. „Der Ausbau ist notwendig“, stellen die Umweltexperten der Bundestagsfraktion fest. Auch die Bundesnetzagentur drängt auf eine rasche Erweiterung der Leitungen.
In einigen Wochen will die Deutsche Energieagentur (Dena) die neue Netzplanung für die nächsten Jahre vorstellen. Die wichtigste Zahl ist bereits durchgedrungen. 3.500 Kilometer neue Stromtrassen hält die vom Bund und der Energiewirtschaft getragene Agentur für notwendig. In den kommenden zehn Jahren sollen die bestehenden Lücken geschlossen werden. Allein die Kosten für diesen Zwischenschritt beziffert die Dena mit rund sechs Milliarden Euro.
Fakt ist, dass ohne diese Investitionen der Strom nicht vom Erzeuger zum Verbraucher gebracht werden kann. Vor allem an und vor den Küsten entstehen neue Kraftwerke. Gebraucht wird diese Elektrizität aber im Westen und Süden des Landes. Also müssen über große Distanzen Überlandleitungen installiert werden. Bislang verläuft der Ausbau eher schleppend. Nicht einmal 100 Kilometer neuer Stromtrassen wurden gebaut.
Dafür ist jedoch nicht nur der Widerstand vor Ort ursächlich. Denn der Bund hat die Bürgerbeteiligung per Gesetz so weit eingeschränkt, dass sich Verzögerungen durch lange Verfahren in Grenzen halten. Der Klageweg beschränkt sich zum Beispiel gleich auf die höchste Instanz, das Bundesverwaltungsgericht. Trotzdem dauert es nach Angaben des Hochspannungsnetzbetreibers Amprion, der etwa ein Drittel der Langstreckverbindungen in Deutschland verantwortet, zwischen fünf und zehn Jahren, bis der erste Pfeiler errichtet werden kann.
Die RWE-Tochter will bis 2015 zwischen Meppen und Wesel eine 130 Kilometer lange Hochspannungsleitung errichten. Durch die frühzeitige Einbindung von Kommunen und Bürgerinitiativen sowie den Grundbesitzern hält sich der Widerstand gegen das Projekt in Grenzen. Teils werden bestehende Trassen genutzt, teilweise wird der Strom in Siedlungsnähe auch über Kabel geleitet, die unter der Erde verlaufen. Dadurch steigt die Akzeptanz in der Bevölkerung erheblich. Vergrabene Leitungen würden auch andernorts beruhigend wirken. Doch die technisch machbare Lösung hat einen hohen Preis. 1,2 Millionen Euro kostet ein Kilometer oberirdisch installierte Leitung. „Die Verkabelung kostet das vier bis zehnfache“, sagt Amprion-Sprecher Marian Rappl.
Der Protest der Stuttgarter gegen einen neuen Bahnhof schreckt viele auf. Fehler wie die unzureichende Einbindung der Bürger sollen beim Netzausbau vermieden werden. Die Grünen werfen den Netzbetreibern hier noch einen mangelnden Willen vor. Erdkabel würden oft gar nicht erst beantragt, kritisiert die Bundestagsfraktion und setzt sich für die vergleichsweise teure Alternative zur Oberlandleitung ein.
Noch steht die Entwicklung der neuen Infrastruktur für den Ökostrom am Anfang. Bis zum Umstieg werden gewaltige Investitionen benötigt. Auf rund 40 Milliarden Euro taxieren Experten die Kosten in den nächsten Jahrzehnten. Auch die Verbraucher in Industrie und Privathaushalten kommen damit neue Belastungen zu. Denn die Ausgaben für neue Netze werden sie letztlich über den Strompreis mitbezahlen.