40 Jahre Anti-AKW-Bewegung sind genug
Kommentar zum Atom-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
09. Dez. 2016 –
Wenn die vier Energiekonzerne nun eine gewisse Entschädigung für das baldige Abschalten ihrer Atomkraftwerke erhalten, so handelt es sich um einen Interessenausgleich in einer entwickelten Demokratie. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Klagen der Unternehmen ist kein Stoff für Dramen. In einigen Jahren bekommen die Firmen möglicherweise ein paar Milliarden Euro überwiesen, die der Staat angesichts seiner guten Finanzlage erübrigen kann.
Die Verfassungsrichter entschieden, dass den Energiekonzernen E.ON, RWE und Vattenfall ein Ausgleich zusteht. Sie haben Anspruch auf eine Kompensation für die Reststrommengen, die ihnen der Atomkonsens mit der rot-grünen Bundesregierung 2002 zugestand, die ihnen die schwarz-gelbe Regierung Angela Merkels nach der Atomkatastrophe in Fukushima 2011 jedoch wegnahm. Denn statt eines Auslaufens nach Verbrauch der Strommengen dekretierte Merkel den festen Abschalttermin 2022 für alle verbleibenden Kernkraftwerke. Die Unternehmen sollen also eine Entschädigung für entgangene Gewinne erhalten, die sie durch den Verkauf des Stroms nicht mehr erzielen können. Außerdem steht ihnen laut Verfassungsgericht ein Ausgleich für im Nachhinein unnötige Investitionen zu. Zur Erinnerung: 2010 verlängerten Union und FDP die Laufzeiten der Kraftwerke zunächst, um sie 2011 umso strikter einzuschränken. Die Unternehmen argumentierten, im Vertrauen auf weitere Betriebsjahre ihrer Anlagen hätten sie zwischendurch Investitionen getätigt, die sich nun nicht mehr rechneten.
Dieses Urteil ist nachvollziehbar. Schließlich genießen Atomkonzerne – wie alle Bürger - die Rechte am Eigentum, die unsere Verfassung schützt. Über dieses Recht dürfen sich die Parlamente und Regierungen nicht hinwegsetzen. Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber nicht grundsätzliche Richtungsentscheidungen treffen könnte, die auch in die Verwendung von Eigentum eingreifen. Wenn dies aber der Fall ist, muss der Staat einen Ausgleich schaffen. Dies erscheint besonders dann plausibel, wenn die Nachteile zu Lasten der Bürger und Firmen durch schnell wechselnde Entscheidungen zustande kommen, die politischer Taktik und Stimmung geschuldet sind. Insofern birgt das Urteil auch eine juristische Kritik an Merkels Regierungshandeln in den Jahren 2010 und 2011. Auf eine so widersprüchliche Politik können Unternehmen keine vernünftige Geschäftsstrategie bauen.
Wie geht es jetzt weiter? Bis Mitte 2018 muss die neue Bundesregierung ein Gesetz ausarbeiten, das die Kompensation zugunsten der Unternehmen regelt. Der Ausgleich kann in der Form von Geld erfolgen. Aber auch eine andere Variante deuteten die Richter an. Möglich wäre es, die jüngsten und sichersten Atomkraftwerke über 2022 so lange weiterlaufen zu lassen, bis sie ihre rot-grünen Strommengen abgearbeitet haben.
Aus zwei Gründen ist dies allerdings keine gute Option. Wegen des schnellen Zubaus von Wind- und Solarkraftwerken produziert Deutschland ohnehin mehr Strom, als verbraucht wird. Zusätzliche Atomenergie passt nicht mehr in die Leitungen. Außerdem kann die Regierung kein Interesse daran haben, die leidige Atomdebatte neu zu eröffnen. Unsere Gesellschaft hat ihren Frieden damit gemacht, die Atomkraft bald zu beerdigen. Dabei sollten wir es belassen. 40 Jahre Anti-AKW-Bewegung sind genug.