Ab in den Untergrund

Wer schon eine Lösung für den strahlenden Atommüll hat

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Von Björn Hartmann

03. Apr. 2023 –

An diesem Wochenende gehen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Dann geht es darum, die bestehenden Anlagen abzureißen und den hochradioaktiven Atommüll sicher unterzubringen. Derzeit liegen die Brennstäbe in 16 Zwischenlagern, gut 27.000 Tonnen verschlossen in rund 1900 Spezialbehältern. Ein Endlager in Deutschland wird noch gesucht. Bis 2068 soll ein geeigneter Ort tief in der Erde gefunden sein. Dann muss noch gebaut werden. Manche Länder hängen noch mehr hinterher: Belgien denkt über ein Tiefenlager nach, Italien ebenfalls. Die Niederlande haben immerhin einen Zeitplan. Besonders weit ist Finnland – vor allem, weil die Bevölkerung im Endlager eine Chance sieht.

Das Problem ist für alle Länder gleich: Brennstäbe, die in einem Atomkraftwerk Energie geliefert haben, strahlen, können nicht einfach auf einer Kippe entsorgt werden. Entsprechend sicher muss ein Lager für Atommüll sein. Experten schätzen, dass mindestens 100.000 Jahre nötig sind, bis die Strahlung auf ein natürliches Niveau gefallen ist. Wie die Welt dann aussieht, lässt sich kaum vorstellen. Zur Einordnung: Vor 100.000 Jahren lebte noch der Neandertaler, waren Faustkeile ein beliebtes Werkszeug.

Bis ein Endlagerstandort gefunden ist, wird zwischengelagert: in Deutschland unter anderem an den ehemaligen Atomkraftwerken, im nordrhein-westfälischen Ahaus und im mecklenburg-vorpommerschen Lubmin. Das niedersächsische Gorleben, 1977 politisch als Endlager festgelegt und Jahrzehnte heftig umkämpft, ist als ungeeignet ausgeschlossen.

Finnland

Das Land ist das erste weltweit mit einem funktionsfähigen Endlager. Die Suche danach begann 1983. Der Staat gestattete den Gemeinden sogar ein Vetorecht. Die Finnen gelten als pragmatisch. Und sie vertrauen Wissenschaftlern. Nennenswerte Proteste gab es deshalb nicht, als die Gemeinde Eurajoki an der Westküste 2004 ausgewählt wurde. Auch die Regionalpolitiker stimmten zu. Die Einwohner haben Erfahrung mit Atomenergie, auf der Insel Olkiluoto, wo das Endlager liegt, stehen drei der fünf finnischen Atomkraftwerke.

Bereits der Bau des Endlagers brachte der Gemeinde hohe Steuereinnahmen, die sie geschickt investierte. Die Bevölkerung wächst, unter anderem auch, weil Eurajoki den Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer auf den niedrigsten Satz in Finnland senkte. 2024 will der Endlagerbetreiber Posiva beginnen, Brennstäbe einzukapseln und unter der Erde zu lagern. In 120 Jahren soll die Anlage dann befüllt sein, 2100 verschlossen werden.

Schweden

Bereits knapp 50 Jahre lang galt der Ort Östhammar gut 100 Kilometer nördlich von Stockholm an der Ostküste bereits als geeignet für ein unterirdisches Endlager. Die Atomindustrie suchte den Standort unter anderem danach aus, ob die Bevölkerung aufgeschlossen ist. In Östhammar ist sie es. In der Nähe steht das Atomkraftwerk Forsmark, eine der sechs schwedischen Anlagen. Auch verspricht sich die Gemeinde Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Ende Januar 2022 genehmigte die schwedische Regierung den Standort. Umweltschützer haben allerdings geklagt. Bis das zuständige Gericht entschieden hat, kann nicht gebaut werden. Sollten die Umweltschützer verlieren, dauert es noch zehn Jahre, bis die ersten Brennelemente eingelagert werden können.

Schweiz

Im September 2022 hat die zuständige Behörde nach langer Prüfung einen Endlagerstandort verkündet: Nördlich Lägern unmittelbar an der Grenze zu Deutschland. Bis die ersten Brennstäbe aus den vier Kraftwerken eingelagert werden können, dauert es noch. Es wird genauer geprüft, die Bevölkerung und die Regionen beteiligt. 2029 sollen Bundesrat und Parlament entscheiden, dann ist noch ein Volksentscheid möglich. Gebaut werden muss auch noch. In Betrieb gehen kann die Anlage frühestens 2050. Derzeit lagert der hochstrahlende Atommüll oberirdisch im Zwischenlager Würenlingen, ebenfalls keine zehn Kilometer von der Grenze zu Deutschland entfernt.

Frankreich

Früh dran mit einem Standort für ein Endlager waren die Franzosen. Bereits 2000 bestimmten sie das kleine Dorf Bure im Osten Frankreichs, gut 150 Kilometer von Saarbrücken entfernt. Zwei weitere Standorte in Zentralfrankreich wurden verworfen. Seither dauert es. Die Einwohner wehrten sich mehrfach. Umweltorganisationen klagten – bisher ohne Erfolg. Derzeit wird eine Pilotanlage gebaut, um Brennstäbe zu verpacken und in ein unterirdisches Tunnelsystem einzulagern. 2030 soll sie startbereit sein. Von 2040 an soll das Endlager dann regulär befüllt werden.

Frankreich arbeitet Brennstäbe aus seinen Atomkraftwerken in der Anlage La Hague in der Normandie auf und verwendet das Material mehrfach. Dennoch fällt sehr viel Atommüll an. Denn das Land setzt sehr stark auf Atomenergie. Knapp 70 Prozent des Stroms liefern die 56 Reaktoren – wenn sie am Netz sind.

Großbritannien

Auch Großbritannien sucht seit Jahren nach einem Endlagerstandort. Zuletzt untersuchte ein Forschungsschiff sogar die Möglichkeit, es unter der Irischen See vor der Nordwestküste anzulegen. 2013 hatte die Regierung bereits einen Standort nahe der britischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield im Nordwesten gefunden. Die Behörden setzten auch auf ein Jobversprechen für die strukturschwache Region. Die Bevölkerung hielt allerdings wenig von den Plänen und protestierte so heftig, dass die Zentralregierung einknickte. Inzwischen dürfen sich Gemeinden bewerben. Geprüft wurden zuletzt vier Standorte im Nordwesten und Nordosten Englands. Ob in absehbarer Zeit ein Standort gefunden wird, ist unklar. Die Region muss zustimmen – und die Bevölkerung. Ein Endlagerstart ist frühestens 2040 vorgesehen. In Sellafield lagern bisher drei Viertel des britischen Atommülls – oberirdisch.

In fast jedem Land, das Atomanlagen betreibt, wird immer wieder auch eine Lösung für den strahlenden Müll diskutiert, bei der keine Gemeinde oder Bürgerinitiative widersprechen kann: das All. Jede Menge Platz und irgendwann verglüht das Material womöglich in einer weit entfernten Sonne. Ob allerdings jemand dafür garantiert, dass die Rakete mit der strahlenden Fracht beim Start nicht in der Erdatmosphäre explodiert, ist unwahrscheinlich.

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