Abschied vom billigen Staat

Wieder einmal scheitert die Schulden-runter-Politik der Bundesregierung

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Von Hannes Koch

24. Jun. 2009 –

Es will einfach nicht klappen. Trotz jahrelanger Bemühungen, die Staatsfinanzen ins Lot zu bringen, beschloss die Regierung am Mittwoch die höchste Neuverschuldung seit Bestehen der Bundesrepublik. 86 Milliarden Euro zusätzliche Kredite braucht der Bund im kommenden Jahr – ein Ergebnis der „scharfkantigen Wirtschaftskrise“, wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte.


Bei dieser Summe dürfte es nicht bleiben. Weil die genauen Zahlen erst später feststehen, hat Steinbrück die Kosten des Fonds zur Bankenrettung und des Investitionsfonds nicht eingerechnet. 100 Milliarden Euro Defizit alleine des Bundes sind also nicht unwahrscheinlich. In den kommenden Jahren wird es nur langsam besser. Selbst für 2013 plant Steinbrück noch 46 Milliarden Euro neue Schulden ein.


Einmal mehr hat damit ein Finanzminister sein Ziel nicht erreicht. Auch Steinbrücks Vorgänger waren gescheitert – zuletzt Theo Waigel (CSU) und Hans Eichel (SPD). Obwohl kein Finanzminister ohne das Gelübde auskommt, einen Haushalt ohne Kredite anzustreben, steigt die Staatsverschuldung seit den 1970er Jahren permanent an. Gegenwärtig steht der deutsche Staat bei seinen Gläubigern mit rund 1.600 Milliarden Euro in der Kreide. Die Realität stört sich nicht an den offiziellen Versprechen. Wie erklärt sich dieser dramatische Widerspruch zwischen Wollen und Wirklichkeit?


Irgendetwas kommt immer dazwischen – nicht zuletzt externe Schocks und schwer vorhersehbare Ereignisse wie die Wiedervereinigung, die New-Economy-Krise oder jetzt der Finanzmarkt-Crash. „Pech gehabt“, könnte man einfach sagen – alles Ausnahmen und Unfälle. Aber sollten die Regierungen nicht Vorsorge für solche Eventualitäten treffen?


Genau das tun sie nicht. Haben sie mal ein bisschen Geld in der Kasse, verteilen sie es sofort unter den Bundesbürgern. Gute Gründe für Steuer- und Abgabensenkungen gibt es immer: Die Niedrigverdiener zahlen zu hohe Sozialbeiträge, der Mittelstand stöhnt unter exorbitanten Steuern, und die großen Unternehmen können sich hohe Abgaben erst recht nicht leisten.


In Deutschland hat sich in den vergangenen 30 Jahren die Unkultur des billigen Staates durchgesetzt. Rot-Grün hat die Beschäftigten, Kapitalbesitzer und Unternehmen um mindestens 40 Milliarden Euro pro Jahr entlastet, unter der großen Koalition geht es ähnlich weiter. Meist sinken die Steuern und Abgaben, selten werden sie – wie im Falle der Mehrwertsteuer 2005 – erhöht.


Das Ergebnis ist eine Schere, die immer wieder aufklappt. Regelmäßig bleiben die Einnahmen unter den notwendigen Ausgaben. „Mit ihren zu schnellen Steuersenkungen haben die Regierungen die Defizite zum Teil selbst verursacht“, sagt Gustav Adolf Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie (IMK). „Gemessen an den Aufgaben, die der Staat zu bewältigen hat, reichen die Einnahmen nicht aus“.


In den kommenden Jahren wird die Regierung einen neuen Versuch der Konsolidierung unternehmen. Die „Schuldenbremse“ hat die große Koalition mittlerweile im Grundgesetz verankert. Ab 2016 sollen die Bundesministerien, ab 2020 die Bundesländer, nahezu keine neuen Kredite mehr aufnehmen dürfen – außer in wirklichen Notfällen. Wetten werden angenommen, ob sich dadurch grundsätzlich etwas ändert.


Doch vorher – spätestens ab 27. September 2009, dem Tag der Bundestagswahl – muss die neue Bundesregierung ein paar einfache Fragen beantworten. Zum Beispiel diese: Wie kommt man von 100 Milliarden Euro Neuverschuldung auf die minimalen Beträge, die die Schuldenbremse erlaubt? Antwort eins: durch Glück, also den erhofften Wirtschaftsaufschwung. Variante zwei: durch Steuererhöhungen.


Dazu schweigt die Koalition. Niemand will eine offene Flanke bieten. Aber Ökonomen brauchen nicht so vorsichtig zu sein. Am konsequentesten ist Klaus Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von heute 19 auf 25 Prozent anregt. Gustav Adolf Horn vom IMK dagegen würde höhere Steuern auf Erbschaften, Vermögen und Finanzprodukte vorziehen. So oder so: Einiges deutet daraufhin, dass die Ideologie vom billigen Staat abgewirtschaftet hat.

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