Adieu Lieblingsproblem
Kommentar zum Bevölkerungsrückgang von Hannes Koch
25. Apr. 2012 –
Das Leben wird nicht schlechter, sondern anders, wenn die Bevölkerungszahl zurückgeht und unsere Gesellschaft altert. Möglicherweise erledigen sich dann einige unserer Lieblingsprobleme von selbst. Die Demografie-Strategie, die die Bundesregierung am Mittwoch beschloss, kann man auch so lesen.
Beispielsweise die Arbeitslosigkeit: Angesichts des zu erwartenden Mangels an Arbeitskräften, wird man in 20 Jahren noch die letzten Reserven mobilisieren. Keine Entschuldigung ist dann stark genug. Kinder, Bandscheibe, Burnout, Alter, falsche Qualifikation? Die Gesundheits- und Sozialingenieure werden für jede und jeden ein Angebot bereithalten, um die Leute fit zu machen für die Erwerbsarbeit. Denn sonst müsste man Millionen Afrikaner und Araber holen, um den hiesigen Laden am Laufen zu halten. Davor haben aber viele Deutsche desto mehr Angst, je weiter ihre Zahl zurückgeht.
Auch das Öko-Thema könnte verschwinden. Vorsicht, Ihr Grünen! Wenn die Bevölkerungszahl sinkt, steigt die Umweltbelastung weniger schnell oder wird sogar reduziert. Ohne große Schwierigkeiten könnte es uns gelingen, den klimaschädlichen Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern. Möglicherweise wird der ökologische Fußabdruck der Deutschen insgesamt kleiner. Das wäre eine gute Nachricht, die auch für viele andere Industrieländer zuträfe.
Eine mögliche Ursache dieser Entwicklung ist die schwächere Dynamik des Wirtschaftswachstums. Weniger Menschen kaufen und konsumieren weniger. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich der jährliche Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts zwischen Null und einem Prozent einpendelt – nahe der gesamtwirtschaftlichen Stagnation. Auf viel höherem materiellen Niveau hätten wir dann wieder einen Zustand erreicht, wie er vor Beginn der großen europäischen Industrialisierung herrschte.
Damit müssten wir aber erst einmal zurechtzukommen lernen. Denn dann gäbe es auch weniger zusätzlichen Wohlstand zu verteilen. Die Menschen in einem künftigen Deutschland, das kaum noch wächst, werden wahrscheinlich bescheidener leben als wir es heute gewöhnt sind. Sich materiell immer höhere Ziele zu setzen, mag dann nicht mehr funktionieren. Aber keine Sorge – wir werden schon nicht lahm, fett und faul. Das ewige Streben zur Verbesserung des Lebens verlagert sich bloss – wohin, werden wir in 50 Jahren wissen.