Algen gegen Klimawandel
Millionen für drei innovative Firmen
09. Aug. 2023 –
Urlauber kennen Braunalgen vielleicht von der französischen Atlantikküste. Sie türmen sich im Sommer oft am Strand und stinken in der Sonne vor sich hin. Ein Ärgernis. Experten wie die Meeresbiologin Mar Fernandez-Mendez sehen in den Meerespflanzen eine Chance, die Erderwärmung zu begrenzen und der chemischen Industrie gleichzeitig einen günstigen Rohstoff zu liefern.
Macrocarbon heißt das Unternehmen mit Sitz auf Gran Canaria, das Fernandez-Mendez mitgegründet hat. Es ist eines von dreien, die im Wettbewerb „Carbon to Value“ (etwa: CO2 einen Wert geben) der Deutschen Sprunginnovationsagentur Sprind gerade die zweite Runde erreicht haben und ihre Ideen jetzt mit jeweils 2,3 Millionen Euro Fördergeld ausbauen können. In der ersten Runde gab es jeweils 600.000 Euro. Knapp eineinhalb Jahre haben die Firmen nun Zeit, zu zeigen, dass ihr Ansatz eines der drängenden Probleme unserer Zeit lösen kann. Zumindest teilweise.
„Wir müssen bis 2050 jährlich weltweit zehn Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre holen, um die Klimaziele einzuhalten. Da brauchen wir innovative, disruptive Ansätze“, sagt Jano Costard, bei Sprind für die Wettbewerbe, sogenannte Challenges, zuständig. „Ein Ziel der Challenge ist, die CO2-Entnahme zu koppeln mit existierenden Märkten. Das Ganze soll sich rechnen. Etwa, wenn aus Algen, die Kohlenstoffdioxid binden, Naphta wird, ein Grundstoff der chemischen Industrie. Oder Pflanzenkohle als Zuschlagsstoff für Beton. Und die Projekte sollen skalierbar sein, also auch in großem Umfang funktionieren.“ Das Kalkül: Wenn es sich rechnet, Geld verdient werden kann, wird es auch gemacht. Klimaschutz mit marktwirtschaftlichen Mitteln.
Braunalgen wachsen sehr schnell und binden sehr viel CO2, Gründerin Fernandez-Mendez zufolge sogar mehr als Pflanzen an Land. Die Arten Sargassum fluitans und Sargassum natans schwimmen auf dem Meer, brauchen weder Boden noch etwas, an dem sie wachsen können; und sie verbrauchen anders als Pflanzen auf einem Acker kein Land. Macrocarbon will sie jetzt auf hoher See züchten, ernten und dann zu Naphta weiterverarbeiten. Letzteres ist ein wichtiger Grundstoff der chemischen Industrie und wird bisher aus fossilen Quellen wie Erdöl gewonnen.
Die Firma wurde erst im März aus dem Alfred-Wegner-Institut in Bremerhaven ausgegründet. Partner ist das junge Unternehmen Carbonwave aus Puerto Rico, das sich mit Algenzucht und Biokunststoff beschäftigt. Die Industrie ist auch bereits interessiert: BASF, einer der größten Chemiekonzerne der Welt, arbeitet mit Macrocarbon zusammen.
Das zweite geförderte Unternehmen wählt einen anderen Weg: Enadyne aus Freiberg hat ein Verfahren entwickelt, dass CO2 aus Biomasse, also nachwachsenden Rohstoffen, zusammen mit Wasserstoff in Methanol, Ethylen und andere Kohlenwasserstoffverbindungen umwandelt – alles Stoffe, die chemische Industrie etwa zur Kunststoffherstellung benötigt. Bisher werden sie überwiegend aus Erdöl und Erdgas hergestellt. Der Plasmakatalyse-Reaktor des Unternehmens nutzt erneuerbare Energie und verspricht, günstiger zu sein als herkömmliche Verfahren.
Einen anderen Ansatz wählt Carboculture aus Helsinki. Die Finnen verwandeln Bioabfall bei hohem Druck und hohen Temperaturen in Pflanzenkohle. Das Material hat einen hohen Kohlenstoffanteil und kann zum Beispiel in Beton gemischt werden und dessen Klimabilanz verbessern, sogar neutralisieren. Beton steht für geschätzt rund acht Prozent aller CO2-Emmissionen weltweit. Ein Nebeneffekt: Der Kohlenstoff ist dauerhaft gespeichert.
Alle drei Unternehmen haben nachgewiesen, dass ihr Konzept funktioniert. Ob es sich auch verkaufen oder im industriellen Maßstab nutzen lässt, ist noch unklar. Hier soll das Geld von Sprind helfen. „Am Ende der Challenge soll jedes Team einen Demonstrator fertig haben, der im realen Umfeld arbeitet, so dass sich das Marktpotenzial abschätzen lässt“, sagt Costard von der Sprunginnovationsagentur. Und dann? „Die Projekte sollen nach der Challenge durch private Investitionen weitergetragen werden.“ Im Idealfall steigt ein großer Konzern ein.
Warum CO2 umständlich aus der Atmosphäre holen, wenn es direkt aufgefangen werden kann, wo es entsteht? Der Spezialchemiekonzern Alzchem im bayerischen Troisdorf etwa filtert einen Teil des CO2 aus der Abluft seiner Anlagen und speist es wieder in die Produktion ein, die viel Kohlenstoff benötigt. Das Unternehmen beliefert unter anderem die Stahl- und Pharmaindustrie mit Grundstoffen.
EEW aus dem niedersächsischen Helmstedt betreibt europaweit 17 Müllverbrennungsanlagen, erzeugt Fernwärme, Prozesswärme für die Industrie und Strom. Jetzt soll auch das CO2 verwertet werden. Im niederländischen Delfzijl entsteht gerade eine Anlage, in der das Gas ab 2026 abgeschieden wird. In einem zweiten Schritt soll es dann etwa zu Sprit für Schiffe werden. Auch die Belieferung der Getränkeindustrie mit Kohlensäure ist geplant.
Alle diese Ansätze reichen wohl nicht, das Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Danach soll sich die Erde bis 2030 nicht um mehr als 1,5 Grad im Vergleich zu 1990 aufheizen. Deshalb muss das Treibhausgas CO2 wahrscheinlich auch in großem Stil gespeichert werden. So hat der hessische Gas- und Ölspezialist Wintershall gemeinsam mit 23 Partnern begonnen, im Gas- und Ölfeld Greensand vor der dänischen Nordseeküste CO2 einzulagern. Auch Norwegen und Großbritannien sehen hier ein Geschäftsmodell, schließlich lassen sie sich das Speichern des CO2 in ehemaligen Gas- und Ölfeldern tief unter dem Meeresboden bezahlen. Allerdings wird das Gas dabei nicht als Rohstoff verwendet, sondern endgelagert.