„Alle müssen zusammenrücken“

Wohnungsmarkt ist auf weitere Menschen nicht vorbereitet

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Von Björn Hartmann

11. Aug. 2022 –

Wenn Deutschlands Bevölkerung binnen weniger Jahre kräftig wächst, belastet das den Wohnungsmarkt. Zumal bereits heute viele Menschen nicht umziehen können, weil sie sich die hohen Mieten nicht leisten können. Eigentum ist für viele ebenfalls nicht mehr erschwinglich.

„Wenn weitere drei Millionen Menschen dauerhaft nach Deutschland ziehen, brauchen wir wohl zwischen 1,2 und 1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen“, rechnet Ludwig Dorffmeister vor, Immobilienmarkt-Spezialist beim Münchener Ifo-Institut. „Gleichzeitig müsste der ohnehin bestehende Wohnraum- und Ersatzbedarf befriedigt werden. Das scheint mir mittelfristig kaum machbar.“ Und auch Michael Voigtländer, Experte beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, ist skeptisch: „Wenn die Prognose stimmt, wird es schwierig.“

Schon in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Einwohner in Deutschland um rund drei Millionen gewachsen. Es kamen Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien sowie Fachkräfte, etwa aus Indien. 2011 wohnten offiziell 80,3 Millionen Menschen in Deutschland, Ende 2021 waren es 83,2 Millionen. Die Zahl der Wohnungen stieg nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes derweil von 40,6 auf 43,1 Millionen.

Allerdings verschärfte sich in den Jahren auch die Wohnungsknappheit in manchen Regionen. „Ausländer zieht es in die großen Städte, wo es schon Netzwerke gibt. Dort ist die Wohnungslage angespannt“, sagt Voigtländer. „Bundesweit gibt es aber in einigen Regionen noch Leerstand, etwa in Teilen von Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern oder Nordbayern.“

Meist sind die interessanten Arbeitsplätze für Menschen von außerhalb der EU auch nicht dort, wo Wohnungen leer stehen. Der Studie von DB Research zufolge kommen immer mehr Inder nach Deutschland, Indien wird demnach bis 2030 das Hauptherkunftsland neuer Arbeitskräfte von außerhalb der EU. Ein Grund: viele Inder sind gut ausgebildete IT-Kräfte, die in Deutschland dringend gesucht sind, vor allem in Metropolregionen wie Berlin, eher nicht im mecklenburg-vorpommerschen Demmin.

Viele Städte wollen mit Bauprogrammen gegensteuern. Und die Bundesregierung möchte jährlich 400.000 Wohnungen neu bauen lassen. Die Branche hält das für eine angemessene Größe, aber auch für sehr optimistisch: „Das Ziel ist angesichts des perfekten Sturms aus Lieferkettenproblemen, Preisexplosionen, Material- und Fachkräftemangel, steigenden Zinsen und dem KfW-Förderchaos für die nächsten drei bis vier Jahre illusorisch“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des GdW, des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft. „Wir können froh sein, wenn dieses Jahr 250.000 Wohnungen fertig werden.“ Über die staatliche Förderbank KfW laufen unter anderem die Programme für bezahlbaren, klimaschonenden Wohnraum.

Eine weitere Schwierigkeit: „Viele Kommunen wollen nicht mehr wachsen, unter anderem, weil sie einen Verkehrskollaps befürchten“, sagt Ifo-Experte Dorffmeister. „Denn auch der Ausbau von Straßen und Nahverkehr dauert in Deutschland sehr lange. Das bedeutet: „Die Menschen, die kommen, werden entweder gezwungen sein, sich dort anzusiedeln, wo es mehr Leerstand gibt“, vermutet Dorffmeister, „oder alle müssen zusammenrücken. Das heißt: Mehr Menschen teilen sich eine Wohnung.“

IW-Experte Voigtländer setzt auf das, was schon gebaut ist: „Wir könnten bereits bestehende Wohnungen und Häuser besser nutzen, etwa Dächer ausbauen, aufstocken oder Einliegerwohnungen einbauen. Viele Menschen wohnen in sehr großen Wohnungen und könnten untervermieten. Das ist alles leichter, als neu zu bauen.“

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