Am Ende stehen die unangenehmen Entscheidungen
An der Zukunft der Rente scheiden sich die Geister. Hier sind die Bausteine einer großen Reform. Ihre Zusammensetzung entscheidet über die Verteilung der Lasten zwischen Jung und Alt, Arm und Reich.
29. Aug. 2018 –
Baustein 1: Das Rentenniveau
Darum dreht sich der aktuelle Streit in der großen Koalition. Finanzminister Olaf Scholz will das Rentenniveau für die nächsten 22 Jahre bei 48 Prozent festschreiben. Ohne eine Reform würde es auf 43 Prozent absinken. Das Rentenniveau sagt aber nichts über die tatsächliche Höhe der Ruhegelder aus. Es ist lediglich eine statistische Messgröße. Sie besagt, wie sich die Renten im Verhältnis zu den Löhnen entwickeln. Je geringer das Niveau, desto mehr driften Löhne und Renten auseinander. Was viele nicht wissen: Auch bei einem sinkenden Rentenniveau steigen die Alterbezüge weiter an, nur eben nicht so stark wie die Löhne. Stabilität, wie von Scholz gefordert, brächte deutlich höhere Ausgaben zugunsten der Rentner. Forscher Axel Börsch-Supan, der auch in der Rentenkommission sitzt, schätzt den Mehraufwand im Jahr 2040 auf rund 40 Milliarden Euro.
Baustein 2: Der Beitragssatz
Momentan bezahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen 18,6 Prozent des Bruttolohnes als Beitrag an die Rentenversicherung. Mit diesem Geld werden die laufenden Ausgaben für die derzeitigen Rentner finanziert. So funktioniert unser umlagefinanziertes Rentensystem. Durch die Alterung steigen die Ausgaben der Rentenkasse an. Ohne weitere Einnahmequellen müsste dann auch der Beitragssatz stark ansteigen, auf deutlich über 20 Prozent des Lohnes. Bis 2025 will die große Koalition den Beitragssatz bei maximal 20 Prozent halten. Da ein starker Anstieg zu Lasten der jüngeren Generation und der Wirtschaft ginge, soll die Erhöhung begrenzt werden.
Baustein 3: Das Rentenalter
Für die Finanzierung des Rentensystems ist die Lebensarbeitszeit von großer Bedeutung. Arbeitet ein Arbeitnehmer länger, bezahlt er zusätzliche Beiträge. Später erhält er kürzer Rente. Diese Stellschraube wirkt also doppelt. Früher lag die reguläre Altersgrenze bei 65 Jahren. Seit 2012 wird sie schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Insbesondere die Wirtschaft fordert nun eine weitere Erhöhung auf 69 Jahre oder eine Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Wäre dies die einzige Maßnahme zur Stabilisierung der Rentenkasse, müssten die Arbeitnehmer nach Berechnungen des Forschungsinstituts Prognos bis zum 77. Lebensjahr arbeiten. Dies wäre politisch und praktisch nicht durchsetzbar. Denn insbesondere Beschäftigte mit hoher körperlicher oder seelischer Belastung halten nicht so lange durch. Eine Alternative wäre das schwedische Modell mit einem flexiblen Renteneintrittsalter ab dem 61. Lebensjahr. Wer bis 65 arbeitet, erhält eine Mindestrente von 850 Euro – wer früher geht, weniger, wer später geht, mehr. Dazu kommen noch die Betriebs- und Privatrenten. Ein Drei-Säulen-Modell strebt die Bundesregierung ebenfalls grundsätzlich an.
Baustein 4: Der Steuerzuschuss
In diesem Jahr werden rund 94 Milliarden Euro Steuermittel aus dem Bundeshaushalt für die Finanzierung der Rente ausgegeben. Das ist knapp ein Drittel des gesamten Etats. Diesen Zuschuss könnte man erhöhen. Grundsätzlich ist es kein Problem, die Steuereinnahmen des Bundes um 40 Milliarden Euro jährlich anzuheben, was, die Inflation eingerechnet, im Jahr 2040 gut 50 Milliarden bedeuten würde. Damit ließen sich beträchtliche Mehrkosten für die Rente abdecken. Politikern, die darüber nachdenken, rät Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu „einem wohldosierten Mix aus Steuern auf hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften sowie höhere Verbrauchssteuern“. In diesem Modell würden Wohlhabende und Reiche egal welchen Alters einen guten Teil der zusätzlichen Rentenausgaben finanzieren. Beispielsweise ein schärferer Spitzensatz in der Einkommensteuer (49 Prozent), eine strengere Erbschafts- und eine höhere Grundsteuer auf Immobilien könnten 20 Milliarden erbringen. Weitere 20 Milliarden Euro trügen ein zusätzlicher Mehrwertsteuer-Punkt, sowie Aufschläge zur Energie- und Dieselsteuer bei. Weil diese Abgaben prinzipiell alle Bürger zahlen, leisten die Jüngeren dabei einen erheblichen Anteil.
Baustein 5: Gesünder arbeiten
Neben den vier großen Stellschrauben gibt es weitere strategische Ansätze für eine finanzierbare Rente. Der Sozialbeirat der Bundesregierung sieht in der Gestaltung der Arbeitswelt einen wichtigen Ansatzpunkt. „Gute Arbeitsbedingungen bei guter Gesundheit der Beschäftigten sind notwendige Voraussetzungen, um einen längeren Verbleib im Erwerbsleben nicht nur zu ermöglichen, sondern auch aus Sicht der Beschäftigten attraktiv zu machen“, hat der Beirat in seinem letzten Gutachten festgestellt. Dazu müssten auch die Arbeitgeber viel beitragen, etwa durch altersgerechte Beschäftigungen. Die Experten sehen darin aber auch einen Vorteil für die Wirtschaft, weil diese so auch ihren Fachkräftebedarf besser decken könnte.
Baustein 6: Mehr Information
Die meisten Beschäftigten, insbesondere die jüngeren, wissen gar nicht, auf welches Alterseinkommen sie hoffen können. Die jährliche Information der Rentenkasse über die voraussichtlichen Ansprüche reicht dazu nicht aus, weil möglicherweise andere Einkünfte hinzukommen. Nun arbeiten die Experten des Bundes an einer Renteninformation, die sowohl die Ansprüche aus der gesetzlichen Rente, als auch die der privaten und betrieblichen Altersvorsorge aufführen soll. Durch diese einheitliche Berechnung, die es in anderen Ländern bereits gibt, sollen die Arbeitnehmer erkennen können, ob sie mehr für ihre Vorsorge beiseitelegen müssen.
Baustein 7: Kampf gegen Altersarmut
Die Altersarmut wird zunehmen, weil viele Erwerbstätige durch lange Arbeitslosigkeit oder die Betreuung der Kinder nur geringe Rentenansprüche aufbauen können. Über das Ausmaß sind sich Politiker und Forscher uneins. In diesem Fall greift die Grundsicherung ein, die etwa den Leistungen von Hartz IV gleichkommt. Gefragt sind Lösungen, die zumindest langjährig Versicherte besserstellen. Ein Königsweg zeichnet sich hier noch nicht ab. Offiziell gilt als arm, wer weniger als 1.033 Euro im Monat zur Verfügung hat. Doch selbst mit deutlich höheren Einkünften kann Armut drohen, etwa, weil die Mieten stark steigen.