„Am Ende werden sich vielleicht einige ärgern“
Bundesnetzagentur-Chef Homann fordert die Bürger auf, sich an der Debatte über die neuen Stromtrassen zu beteiligen. Veröffentlichung der Planung am Mittwoch
28. Mai. 2012 –
Hannes Koch: Herr Homann, wenn die Energiewende ein Marathonlauf wäre, welche Strecke hätten wir dann bisher zurückgelegt?
Jochen Homann: Wir haben fünf Kilometer hinter uns. Da, wo die ersten Läufer anfangen zu schwitzen. Jetzt fehlen noch 37,195 Kilometer.
Koch: Sie kennen sich aus bei diesem Sport.
Homann: Ja, früher war ich selbst Marathonläufer. Jetzt laufe ich nur noch zwischen Bürotüre und Fahrstuhl. Das bringen Führungspositionen in der Verwaltung so mit sich. Aber später hoffe ich, den Sport wieder aufzunehmen.
Koch: Versetzen Sie sich in die Lage eines aktiven Läufers. Was würden Sie sagen, wenn entlang ihrer Trainingsstrecke eine neue Hochspannungsleitung für Strom errichtet würde?
Homann: Ich bin ein vernünftiger Mensch und weiß um die Notwendigkeit solcher Leitungen. Wir brauchen sie beispielsweise, um Windstrom von der Nordsee nach Baden-Württemberg und Bayern zu transportieren. Ohne neue Leitungen keine Energiewende. Deshalb haben wir 2011 ein Gesetz beschlossen, das den Ausbau des Netzes beschleunigen soll. Es sieht vor, dass alle Betroffenen vom ersten Tag an über die zusätzlichen Trassen mitdiskutieren können.
Koch: Im ersten Schritt hat die Netzagentur Szenarien aufgestellt, wie viele Kraftwerke künftig gebraucht werden. Da gingen nur 76 Stellungnahmen von Kommunen, Verbänden und Bürgerinitiativen bei Ihnen ein. Wieso interessiert sich kaum jemand für Ihre Bürgerbeteiligung?
Homann: Am Anfang ist naturgemäß vieles noch recht abstrakt, so dass noch nicht alle die Notwendigkeit sehen, ihre Chancen zur Partizipation wahrzunehmen. Zur Ermittlung der Entwicklungsszenarien, die Sie erwähnten, hätte jeder Bundesbürger einen Brief an die Bundesnetzagentur schicken können. Wir hätten alle Argumente in unserer Abwägung berücksichtigt.
Koch: Machen die Bundesnetzagentur und die Politik die neuen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung zu wenig bekannt, weil vielleicht auch kein Interesse daran besteht, dass sich zu viele Leute einschalten?
Homann: Dieser Vorwurf ist grundfalsch. Im Gegenteil: Ich war bis Anfang dieses Jahres als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium tätig, daher weiß ich, dass es dieser Regierung sehr wichtig ist, Akzeptanz für die Energiewende und den Netzausbau in der Bevölkerung zu schaffen. Dafür sind eingehende Diskussionen notwendig und gewünscht. Dieses Angebot machen wir. Wenn die Bürger das nicht nutzen, kann man der Politik oder der Netzagentur keinen Vorwurf machen. Am Ende werden sich vielleicht einige ärgern. Aber dann werden wir darauf hinweisen, dass sie ihre Chance verpasst haben, von Anfang an mitzureden. Es gibt aber noch genug Gelegenheit dazu. Wenn die Planungen konkreter werden, wird sicherlich auch das Interesse steigen.
Koch: Sorgt das dann für mehr Akzeptanz?
Homann: Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem transparenten Verfahren mehr Zustimmung schaffen können. Ob wir jeden mitnehmen werden, weiß ich nicht. Es wird immer Bürger geben, die sich so stark betroffen fühlen, dass sie unzufrieden bleiben.
Koch: Viele Bürgerinitiativen etwa in Hessen oder Niedersachsen sind doch gesprächsbereit. Warum kommen sie denen nicht entgegen, in dem mehr Stromleitungen unterirdisch verlegt werden?
Homann: Wir müssen zunächst viel mehr Erfahrung mit Erdkabeln sammeln, die zudem wesentlich teurer sind als Hochspannungsleitungen. Die Leitungsplanung in Hessen und Niedersachsen basiert auf dem Energieleitungsausbaugesetz von 2009, dem so genannten EnLAG, das vier Pilotprojekte erlaubt. Wenn wir mehr Erfahrung haben, könnten Erdkabel später eine größere Rolle spielen.
(bis hierhin hat Interview eine Länge von ca. 3.600 Zeichen Brottext)
Koch: Kommt der Ausbau des Netzes gegenwärtig schnell genug voran?
Homann: Auf der Basis des EnLAG wurden seit 2009 rund 1.800 Kilometer Hochspannungstrassen geplant. Davon sind bisher erst 214 gebaut und nur 100 Kilometer in Betrieb genommen worden. Daraus kann man schließen, dass es zu langsam geht.
Koch: Der Netzbetreiber Tennet hat kürzlich seine Überforderung mit dem Anschluss von Windparks auf dem Meer eingeräumt. War es politisch falsch, ein einzelnes Unternehmen mit einer so gigantischen Aufgabe zu betrauen?
Homann: Als die Entscheidung fiel, das Netz von E.ON zu übernehmen, sah sich Tennet durchaus in der Lage, die Anbindung der Offshore-Windparks zu bewerkstelligen. Jetzt muss man darüber sprechen, wie man die Schwierigkeiten überwinden kann.
Koch: Vielleicht liegt es daran, dass ein Oligopol von nur vier Firmen für die Hochspannungsnetze zuständig ist?
Homann: Der Begriff „Oligopol“ ist hier fehl am Platze. Die alte Machtstruktur wurde ja gerade aufgelöst. Früher gehörten die Netze noch den Stromproduzenten, die sie in den letzten Jahren verkauft haben. Weitere Unternehmen einzubeziehen, gestaltet sich im Übrigen schwierig, weil es kaum Interessenten gibt. Tennet hätte sicher nichts dagegen, wenn sich andere Akteure beteiligten.
Koch: Im Gespräch ist eine staatliche Beteiligung. Besteht die Gefahr, dass die Kosten sozialisiert werden, während die Gewinne in private Kassen fließen?
Homann: Keineswegs, das wäre eine Überinterpretation. Es sind schlicht einige Probleme zu lösen, die so früher nicht absehbar waren. Beispielsweise sind Haftungsfragen derzeit nicht geklärt. Unfälle, wie die Kollision von Schiffen mit Plattformen für den Bau von Windanlagen, sind heute kaum zu tragbaren Preisen zu versichern. Die Übertragungsnetzbetreiber könnten diese Kosten, wenn sie einseitig auf sie abgewälzt werden, nicht alleine stemmen. Deshalb ist es notwendig, eine ausgewogene Haftungsregelung zu schaffen. Alle beteiligten Unternehmen und deren Investoren brauchen die Berechenbarkeit von Risiken. Eine weitere Frage betrifft die Finanzierung weiterer Leitungen zwischen neuen Windparks und dem Festland.
Koch: Müssen Sie eingestehen, dass das bisherige Modell nicht funktioniert: Die Privatwirtschaft baut die Netze, Ihre Behörde reguliert so, dass die Gewinne stimmen?
Homann: So grundsätzlich würde ich das nicht sagen. Tennet braucht eine gewisse Unterstützung. Vorstellbar ist, dass sich die öffentliche KfW-Bankengruppe mit Kapital in einer gemeinsamen Netzgesellschaft engagiert. Alternativ könnte auch an eine Offshore-Umlage zum Anschluss Windparks auf dem Meer gedacht werden. All dies ist Gegenstand laufender Gespräche.
Koch: Schauen Sie 30 Jahre voraus. Hat die Energiewende dann geklappt, fahren Sie dann ein Elektroauto?
Homann: Dieses Megaprojekt wird von niemandem mehr grundsätzlich in Frage gestellt – auch nicht von denen, über die es heißt, sie seien dagegen. Gestritten wird allenfalls über Details. Deshalb wird die Energiewende funktionieren. Und was mich betrifft: In 30 Jahren bin ich 89 Jahre alt. Dann werde ich wohl nicht mehr Auto fahren – sondern vielleicht einen elektrischen Rollator.
Netzagentur-Chef Jochen Homann
Der studierte Volkswirt (Jg. 1953) steht der FDP nahe, ist aber nicht Parteimitglied. Bis Anfang diesen Jahres war Homann beamteter Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, wo er auch gute Kontakte zu den Umweltverbänden pflegte. Er ist kein Marktideologe, sondern befürwortet, wenn nötig, Mischformen öffentlicher und privater Wirtschaftstätigkeit. Früher arbeitete er im Bundeskanzleramt und war in den 1980er Jahren Redenschreiber der FDP-Wirtschaftsminister Bangemann und Hausmann.
Bürgerbeteiligung
Am kommenden Mittwoch beginnt der zweite große Schritt der bundesweiten Planung neuer Stromtrassen. Dann veröffentlichen die vier Betreiberfirmen des Hochspannungsnetzes, wo in Deutschland ihren Berechnungen nach neue Leitungen gebaut werden sollen. Die Bundesnetzagentur muss diesen Plan genehmigen. Bis Ende des Jahres will die Bundesregierung daraus ein Gesetz machen. Was bisher wenig bekannt bekannt: Alle Bundesbürger und Organisationen können Einwände und Gegenargumente an die Netzagentur schicken.