Am Genschalter des Weizens

Die EU will neue Techniken erlauben

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Von Björn Hartmann

04. Jul. 2023 –

Grüne Gentechnik ist in Europa bisher weitgehend unmöglich. Die EU-Kommission will das entsprechende Gesetz von 2001 jetzt erneuern: Das sogenannte Genome Editing soll künftig erlaubt werden. Die Technik orientiert sich an klassischer Züchtung. Der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer, bei Saatgut weltweit führend, arbeitet mit der Technik. Warum sie bahnbrechend ist, erklärt Frank Terhorst, Leiter Strategie und Nachhaltigkeit bei der Division Crop Science.

Was gehört zu grüner Gentechnik?

Grüne Gentechnik gehört zu den Schlüsseltechniken. Es gibt die klassische Variante, die seit mehr als 25 Jahren in vielen Ländern der Welt genutzt wird. Dabei werden fremde Gene ins Saatgut eingeschleust, damit die Pflanzen widerstandsfähig gegen Insektenfraß oder Herbizid-tolerant sind. Die zweite Variante ist das Genome Editing. dabei werden nur eigene Gene der Pflanze verwendet, ein- oder ausgeschaltet.

Wie funktioniert Genome Editing?

Es gibt verschiedene Techniken, die Genänderungen erlauben. Sie funktionieren alle ähnlich. CrisprCas9 ist die bekannteste. Sie funktioniert wie eine Art Schere. Damit lässt sich eine Pflanze so verändern, wie es auch über klassische Züchtung möglich ist. Im Gegensatz zur klassischen Gentechnik wird keine Fremd-DNA eingebaut.

Warum reicht klassische Züchtung nicht?

Menschen züchten seit mehr als 10.000 Jahren. Pflanzen werden gekreuzt, dann wird neu ausgesät, beobachtet, wo die gewünschten Eigenschaften entstehen, etwa mehr Ertrag, kürzere Halme oder Hitzeresistenz, dann wird ausgewählt, gekreuzt, ausgesät. Das dauert. Auch mit dieser Technik kommen zum Beispiel bei Mais und Reis alle vier Jahre bessere Sorten auf den Markt. Genome Editing ist zielgerichteter, präziser, wir können eine Pflanze zum Beispiel leichter an Trockenheit anpassen. Und dieses Verfahren ist deutlich schneller.

Wie viel?

Normalerweise dauert es sieben bis acht Jahre, neues Saatgut durch Kreuzen die gewünschten Eigenschaften zu geben und es marktfähig zu machen. Mit Genome Editing wird die Zeit mehr als halbiert.

Es geht also vor allem ums schnellere Geschäft.

Das Ganze ist etwas Grundsätzlicher. Es geht nicht nur darum, neue Pflanzen zu entwickeln. Es geht auch nicht nur darum, die Ernteerträge auszubauen. Es geht vor allem auch darum, die Erträge überhaupt zu sichern. Das können wir schon nicht mehr wegen der Folgen des Klimawandels. Das Saatgut kommt mit höheren Temperaturen, mehr Wind, mehr Trockenheit oder mehr Feuchtigkeit nicht gut mit.

Umweltschützer fürchten geringere Artenvielfalt, Monokulturen und Gefahren für andere Pflanzen etwa durch veränderten Mais, Soja, Weizen. Was ist da dran?

Wir als Menschen stehen vor einer besonders großen Herausforderung: Wir werden immer mehr, bis 2050 voraussichtlich zehn Milliarden. Doch durch Klimawandel aber auch Versiegelung von Flächen und durch Kriege wird Agrarland immer weniger. Daher brauchen wir notwendiger denn je sichere Ernten und eine moderne nachhaltige Landwirtschaft gleichermaßen. Hier kann Genome Editing ein Baustein sein. Auch müssen wir weg vom Gefahren- hin zum Chancendiskurs, denn sonst stehen wir uns selbst weiter im Weg.

Die EU will die Gentechnik-Richtlinie ändern. Warum ist das wichtig?

Viele Schlüsseltechnologien sind in Europa entwickelt worden, die klassische grüne Gentechnik etwa in den 90er Jahren an den Universitäten in Potsdam und Gent. Leider sind die Technologien durch fehlende Akzeptanz und verhinderte Regulierung in Europa komplett in die USA und andere Länder abgewandert. Genome Editing ist relativ neu, fällt aber in der EU zurzeit unter das alte Gentechnikgesetz, weil es hierfür keinen Regelungsbereich gab, und ist damit de facto verboten. Wenn sich das nicht ändert, werden wir diese erfolgversprechende Technologie in Europa nicht nutzen können. Dies hätte zur Folge, dass Forschungsinvestitionen im Milliardenbereich gar nicht erst herkommen und die Anwendung überall auf der Welt stattfinden wird, nur eben nicht hier.

Wie stehen die Chancen für den Entwurf der EU-Kommission?

Einige EU-Staaten waren von Anfang an für die Technologie. Wir wünschen uns, dass auch Deutschland sich hier klar dafür ausspricht. Schließlich geht es darum, die Nahrungsmittelversorgung zu sichern sowie Forschung und Entwicklung in Deutschland zu halten. Genome Editing bietet die Chance für eine moderne und Ressourcen schonende Landwirtschaft.

Wie steht Deutschland da?

Wir sind in Deutschland bei der Forschung gut aufgestellt. Viele Saatgutzüchter haben bereits angefangen, mit der Technologie zu arbeiten. Bisher können wir Genome Editing in Europa zwar im Labor nutzen und in Feldversuchen testen, aber entsprechend veränderte Pflanzen nicht kommerziell anbauen und vermarkten.

Wird woanders schon entsprechendes Saatgut verkauft?

Wir wissen, dass in Fernost eine enorme Dynamik herrscht. Auch sind in den USA im Mai dieses Jahres erste Produkte auf den Markt gekommen. Die Zahl wird in den kommenden zwei, drei Jahren deutlich steigen. Und es geht nicht immer um Mais oder Weizen.

Sondern?

Das Startup Cover Cress, an dem Bayer beteiligt ist, hat das Ackerkellerkraut, was viele als Unkraut bezeichnen, zu einer Nutzpflanze entwickelt. Es ist eine Quelle für erneuerbare Kraftstoffe. Zunächst soll das daraus gewonnene Öl zu Biodiesel weiterverarbeitet werden, später daraus auch Kerosin entstehen. Das Kraut hat mehrere Vorteile: Es kann als sogenannte Zwischenfrucht nach Mais und vor Sojabohnen angepflanzt werden. Zwischenfrüchte verbessern die Bodengesundheit und verhindern Erosion, eine der dramatischsten Folgen des Klimawandels. Es ist zudem kein Konkurrent für Nahrungsmittel, weil es angebaut wird, wenn Nahrungsmittel nicht wachsen. Und der Sprit ist CO2-neutral.

Klingt aber anders als beim Weizen doch eher nach einer Nische.

Weizen ist die Schlüsselfrucht für die EU. Wir haben weltweit die besten Böden, aber auch wegen der sich ändernden Klimabedingungen enormen Anpassungsbedarf beim Saatgut. Auch wir bei Bayer arbeiten daran, Weizen widerstandsfähiger zu machen. Ohne wissenschaftsbasierte und innovationsfreundliche gesetzliche Rahmenbedingungen wird es aber keinen Weg geben, mit Genome Editing verbesserte Pflanzen auf den Markt zu bringen.

Bayer ist wahrscheinlich der einzige Konzern weltweit, der Gentechnik-Erfahrung in Pharma und im Agrarbereich hat. Gibt es Überschneidungen?

Beide Sparten können voneinander lernen und die Grundlagen der Technik nutzen. In der Pharmasparte geht es um Zelltherapie, in der Agrarsparte um Pflanzenzüchtung. Die Produkte und Märkte mögen unterschiedlich sein, aber wir profitieren durch den Austausch innerhalb des Konzerns. Das ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Und wir haben als Arbeitgeber eine hohe Attraktivität.

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