Angst vor dem Beitragsbankrott

Die Zweiklassenmedizin könnte zum Auslaufmodell werden

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Von Wolfgang Mulke

03. Feb. 2012 –

Vor dem Rentenalter ist Angelika F. etwas bange. Denn die 60-jährige befürchtet, dass sie die Prämien für ihre Krankenversicherung dann nicht mehr bezahlen kann. Sie ist privat versichert, weil sie einst mit einem Beamten verheiratet war. Die Ehe besteht schon lange nicht mehr. Doch zurück in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) kann sie nicht mehr, weil dies ab einem Alter von 55 Jahren nicht mehr geht. Trotz des Wechsels in einen günstigeren Tarif rechnet sie deshalb mit hohen Ausgaben für den Gesundheitsschutz. „Ich weiß nicht, was das leisten kann“, sagt sie.

Diese Sorge teilen viele Privatversicherte. Denn die monatlichen Kosten steigen regelmäßig an. Einzelne Kunden trifft dies extrem, wie der Bund der Versicherten aus zahlreichen Zuschriften weiß. In einem Fall sei der Beitrag innerhalb der letzten drei Jahre geradezu explodiert, sagt Verbandssprecher Thorsten Rudnik. 2009 gab es für diesen Kunden 30 Prozent Aufschlag, 2010 noch einmal 40 Prozent und im vergangenen Jahr satte 50 Prozent. „Das ist nicht mehr erklärbar“, findet Rudnik. In einem anderen Fall muss der Versicherte seit Januar 2011 statt bisher 450 Euro plötzlich 620 Euro im Monat an den Versicherer überweisen. Auf lange Sicht, so glaubt der Verbraucherschützer, könne dies nicht gut gehen. „Ältere können die Beiträge nicht mehr aufbringen“, befürchtet der Sprecher.

Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) bestreitet, dass alle Privatversicherten von drastischen Tariferhöhungen betroffen sind. Bei der Hälfte der Verträge habe es zum Jahreswechsel gar keine Anhebung gegeben, bei den anderen um durchschnittlich vier bis fünf Prozent, erläutert ein Sprecher, der in den Beispielen Einzelfälle sieht. Dagegen sieht die Hamburger Verbraucherzentrale auf die Kunden einzelner Unternehmen gravierende Probleme zukommen. Kleine Selbständige und Rentner seien von drastischen Beitragserhöhungen besonders betroffen. „schlimmstenfalls werden sie sogar zu Sozialhilfeempfängern“, warnen die Verbraucherschützer.

Woran liegt es, dass die Prämien so in die Höhe schießen? Wenn junge Beamte oder Gutverdienende in die PKV wechseln, zahlen sie in der Regel geringere Beiträge als gesetzlich Versicherte. Irgendwann wird der jeweilige Tarif geschlossen. Es werden also keine neuen Verträge mehr abgeschlossen. Die Versicherten im geschlossenen Tarif werden älter und die Krankheitskosten nehmen damit zwangsläufig zu. In diesem Fall legt das Unternehmen die tatsächlichen Kosten auf ihre Kunden um.

Dieser Mechanismus soll eigentlich durch Altersrückstellungen in jungen Jahren begrenzt werden. Doch die Rückstellungen reichen bestenfalls für die Abfederung des höheren Krankheitsrisikos aus, nicht jedoch für die höheren Preise für Behandlungen im Gesundheitswesen. Denn damit haben mittlerweile auch die Privaten schwer zu kämpfen. Der Branchenverband beklagt, dass es kaum ein Instrument gibt, mit denen die Ausgaben gesteuert werden könnten. So würde die PKV gerne mit den Ärzten direkt die Konditionen aushandeln.

Die eigentliche Gefahr für die Branche ist der Unmut vieler Bürger und Politiker über die in Deutschland entstandene Zweiklassenmedizin. Privatpatienten bekommen schneller Termine beim Arzt und erhalten bessere Leistungen. Doch das trifft längst nicht mehr auf alle Versicherten zu. Wer im monatlich rund 600 Euro teuren Basistarif landet, wird in der alltäglichen Praxis sogar schlechter versorgt als ein Kassenpatient. Manche Kunden wechseln in einen günstigen Standardtarif. Doch auch hier ist es mit der Luxusversorgung vorbei.

Allmählich wächst die Koalition derer, die aus mittlerweile drei Klassen eine einzige machen wollen. Die SPD will eine Bürgerversicherung einführen. Das Leistungsspektrum und die Beiträge sollen für gesetzliche Krankenkassen und private Anbieter angeglichen werden. Das System wäre durchlässig. In Holland funktioniert dieses Modell. Auch in der Union, die traditionell auf Seiten der PKV steht, mehren sich die Kritiker rund um den Gesundheitsexperten Jens Spahn, der eine einheitliche Versorgung durchsetzen will. „Das ist keine Einzelmeinung mehr“, heißt es in der Fraktion. Doch vor der nächsten Wahl wird es keine Reform geben. Schwarzgelb hat die Zweiklassenmedizin im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

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