Anklage, Tragödie, Freispruch

Wulff ist vom Vorwurf der Korruption freigesprochen. Fragen zur ungerechtfertigten Nähe von Politik und ökonomischer Elite bleiben

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Von Hannes Koch

27. Feb. 2014 –

Dass das ehemalige deutsche Staatsoberhaupt früher einmal Einladungen eines Geschäftsmannes im Wert von etwa 720 Euro angenommen hatte, stuften die Richter am Donnerstag nicht als illegale Vorteilsnahme ein. Von diesem Vorwurf sprach das Landgericht Hannover den vormaligen Bundespräsidenten Christian Wulff frei. Die aufsehenerregende Affäre und das historisch einmalige Verfahren könnten trotzdem noch weitergehen: Die Staatsanwaltschaft überlegt, ob sie beim Bundesgerichtshof Revision einlegt.

 

Im Februar 2012 trat Christian Wulff (CDU) vom Amt des Bundespräsidenten zurück - einen Tag nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover das Ermittlungsverfahren eröffnet hatte. Seitdem stand der ehemalige Spitzenpolitiker auch offiziell unter dem Verdacht der Bestechlichkeit und Korruption. Er soll Einladungen des Filmunternehmers David Groenewold angenommen haben. Dieser hatte bei einem Besuch des Oktoberfestes in München Hotel-, Restaurant- und Babysitter-Rechnungen von 720 Euro für Wulff und seine Frau Bettina bezahlt. Als Gegenleistung, so die Staatsanwaltschaft, habe der Politiker später ein gutes Wort bei Siemens eingelegt, um Unterstützung des Unternehmens für einen Film Groenewolds einzuwerben.

 

Nach langwieriger Beweisaufnahme war im Wesentlichen dieser Vorwurf unter zahlreichen Verdachtsmomenten übriggeblieben. Auch bei der Oktoberfest-Einladung erkannte das Gericht aber keinen engen Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. In seiner Urteilsbegründung sagte Richter Frank Rosenow, über die Jahre habe sich eine persönliche Freundschaft zwischen Wulff und Unternehmer Groenewold entwickelt, in der gegenseitige private Einladungen üblich gewesen seien. Eine lückenlose Indizienkette als Beleg der Korruption sah das Gericht deshalb nicht. Sie sei aber auch nicht widerlegt, argumentierte Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer in seinem Schlussplädoyer. Er verlangte, die Beweisaufnahme fortzusetzen.

 

Die umstrittenen Vorkommnisse trugen sich in der Zeit Wulffs als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen (2003-2010) zu. An die Öffentlichkeit kamen sie allerdings erst, nachdem er im Juli 2010 zum Bundespräsidenten gewählt worden war. Kurz vor Weihnachten 2011 berichtete das Boulevardblatt Bild, dass der Landesherr sich nach der Scheidung von seiner ersten Frau ein neues Haus mit Hilfe einer Unternehmergattin kaufte, die ihm einen privaten Kredit gab.

 

Darauf überrollte Wulff eine Recherche-Lawine. Die zentrale Frage: Ließ Wulff sich von den Reichen im Lande kaufen? Wochenlang gab es in deutschen Medien kein anderes Topthema. Auf dem Höhepunkt wurde selbst das geschenkte Plastik-Spielzeugauto für das Kind zum Gegenstand der Berichterstattung. Reporter renommierter Zeitungen schämen sich heute, dass sie sich an dem beteiligten, was Hans-Ulrich Jörges vom Magazin Stern als „Rudeljournalismus“ bezeichnet. Freilich hatten Christian Wulff und seine zweite Frau Bettina dem auch Vorschub geleistet, indem sie in guten Zeiten gerne Einblicke in ihr Privatleben gewährten.

 

Trotz des Freispruchs sollte der zurückgetretene Präsident „sich gewisse Selbstvorwürfe nicht ersparen“, sagte Tilman Mayer, Politik-Professor der Universität Bonn. Das Verhalten des Politikers habe dazu beigetragen, eine „Verdachtsstruktur“ entstehen zu lassen. Indem Wulff sich mit einflussreichen Unternehmern unter dem Motto persönlicher Freundschaft umgab, bot er diesen einen Zugang zur Sphäre politischer Macht, den durchschnittliche Bürger nicht haben.

 

Insofern nannte es Staatsrechtsprofessor Christian Hillgruber richtig, dem „Anfangsverdacht nachzugehen“. Schließlich aber habe sich die „Staatsanwaltschaft verrannt“. Viele Juristen teilen diese Einschätzung. Sie meinen, das Verfahren gegen Wulff hätte viel früher eingestellt werden sollen. Für Christian Wulff waren die vergangenen zweieinhalb Jahre eine Tragödie. Nicht nur verlor er das höchste Staatsamt, auch seine zweite Ehe scheiterte.

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