Apples iPhone-Fabriken - Fortschritte und Missstände
26. Okt. 2013 –
Pui Kwan Liang lässt die Jalousie vor dem Fenster runter. Sie sperrt die Sonne, die staubige Straße am Rande der chinesischen Industriestadt Shenzhen und eventuelle neugierige Blicke aus. Liang, 27, ist berufsmäßig vorsichtig. Die Arbeiteraktivistin aus Hongkong fährt regelmäßig nach China, um die Beschäftigten dort zu unterstützen.
Separee im Restaurant, großer runder Tisch mit gelber Decke, darauf eine gläserne Drehscheibe, damit jeder an die Schüsseln mit Reis, scharfem Gemüse und Hühnchen herankommt. Wenn die Bedienung die Türe öffnet und mit lauter Ankündigung neues Essen bringt, stirbt die Unterhaltung. Es soll nichts nach außen dringen.
Liang, klein, schwarzhaarig, trägt ein hellblaues T-Shirt mit dem Beatles-Zitat „We all live in the Yellow Submarine“. Doch sie ist angespannt. Mit ihrem Smartphone nimmt sie auf, was der Arbeiter erzählt. Der 28-Jährige arbeitet seit anderthalb Jahren in der iPhone-Fabrik unweit des Restaurants. Ursprünglich kommt er aus der armen, bevölkerungsreichen Provinz Hunan im Südwesten Chinas. Am kleinen Finger und Daumen seiner linken Hand trägt er gepflegte lange Fingernägel wie viele Chinesen. Aber die Hand ist verkrüppelt. Die Haut zeigt Narben. Die Fingerglieder sind schief zusammengewachsen, der Mann kann die Finger kaum noch krümmen. „Passiert ist der Unfall, als ich am Band saß und iPhones zusammensetzte“, erzählt er. Eine Fuhre mit schweren Materialkästen, die ein Kollege vorbeibugsierte, sei umgekippt. Er trug komplizierte Knochenbrüche davon.
Jetzt streitet der iPhone-Arbeiter mit seinem Arbeitgeber bei Shenzhen nördlich von Hongkong um´s Geld. Laut Gesetz, sagt er, müsse er nach dem Arbeitsunfall zunächst eigentlich seinen vollen Lohn erhalten – wie das im Übrigen auch in Deutschland geregelt ist. „Tatsächlich bekomme ich aber nur ein Drittel meines früheren Lohns“. Außerdem versuche die Firma mit Hilfe von Ärzten, „die Verletzung und die Behinderung geringer einstufen zu lassen, damit sie weniger zahlen muss“, fügt Liang hinzu. Für den Arbeiter entscheidet der Ausgangs des Streits auch darüber, ob er später genug Geld zur Verfügung hat, um für sein Kind zu sorgen, das bei seinen Eltern im Heimatdorf lebt.
Der Mann ist einer von Millionen Beschäftigten, die in China für Apple iPhones, iPads und Laptops produzieren, welche in San Francisco, Paris oder Berlin verkauft werden. Für die Zustände in den Fabriken begann sich die Öffentlichkeit 2010 zu interessieren. Damals nahmen sich 13 Arbeiter das Leben, indem sie von Fabrikdächern in die Tiefe sprangen. Mittlerweile hätten 18 Beschäftigte bei Foxconn, dem größten Apple-Zulieferer, Selbstmord begangen, erklärt die Kritiker-Organisation China Labor Watch.
Sieben Tage am Fließband pro Woche, nicht selten 80 Arbeitsstunden wöchentlich, kaum freie Tage oder Urlaub, armselige Löhne von weniger als einem Euro pro Stunde, Kontakt mit giftigen Substanzen ohne ausreichende Schutzkleidung, Schikanen durch Vorarbeiter, überfüllte Wohnheime - so beschrieben Beschäftigte 2010 ihr Arbeitsleben. Apple und Foxconn versprachen daraufhin, die Arbeitsbedingungen zu verbessern – und zwar bis zum 1. Juli 2013. Was ist daraus geworden? Hat Apple seine Versprechen gehalten? „Nein“, sagt Arbeitsaktivistin Liang, „was Apple gemacht hat, reicht nicht aus“.
Nicht nur sie ist dieser Meinung. Auch Professor Huilin Lu kritisiert den iPhone-Konzern. Er hat mitgeschrieben an einem Buch unter der Überschrift „iSlaves“ - iSklaven. Der 44jährige Soziologe arbeitet an der Peking-Universität, einer Institution, die in China eine ähnliche Rolle spielt, wie Harvard für die USA. Studenten Lus heuern in den Semesterferien regelmäßig in den Zulieferfabriken an und schreiben Studienarbeiten über ihre Erfahrungen. Unter anderem deswegen weiß der Wissenschaftler genau, wie die aktuellen Arbeitsbedingungen aussehen. Auf seinem dicken, schwarzen Bürosofa sitzend, sagt er: „Apple hat seine Versprechen nicht erfüllt.“
Was soll man davon halten? Hat Apple seine Versprechen nur gegeben, um die Kunden in den reichen Ländern, bei denen man einen Ruf zu verlieren hat, zu beruhigen? Lügt der Konzern?
Zur Fabrik geht es vom Restaurant aus nach rechts. Tausende Fahrräder parken dort am Haupttor, private Sicherheitsleute in grünen Uniformen halten Wache, dahinter sieht man moderne Fabrikhallen, bis sich der Blick in der Tiefe des Areals verliert. Vom Restaurant aus nach links um ein paar Straßenecken liegt ein Wohnquartier, wo Beschäftigte leben, denen es in den Wohnheimen auf dem Firmengelände zu unruhig ist. Enge Straße, enge Treppen, Liang, die Aktivistin aus Hongkong, hat den Besuch angekündigt. Im 2. Stock öffnet Qingqing Luo* die Türe zu ihrer Wohnung, die aus wenig mehr als einem 12-Quadratmeter-Raum besteht.
Ihr Mann Qian* rappelt sich hoch und setzt sich auf die Bettkante. Er ist schlapp, langweilt sich, wartet auf seine Genesung. An der einen Wand steht ein niedriges Tischchen mit Laptop, daneben zwei übereinandergestapelte Rollkoffer, die als Regal dienen. Ein paar Pappkartons, ein Ventilator, ein bisschen Kram, daraus besteht die Einrichtung. Stühle gibt es nicht. Die Besucher nehmen Platz auf rosa Plastikhockern, die an umgedrehte Eimer erinnern. Hinzu kommen anderthalb Quadratmeter Küche mit einem Zwei-Flammen-Herd und zwei Quadratmeter Badezimmer. Das scheint alles zu sein, was sich der iPhone-Arbeiter und seine Frau leisten können.
Qian Luo (32) berichtet, wie er sich bei der Arbeit in der Fabrik – Aufbau und Wartung der Produktionsstraßen für die Apple-Geräte – mit dem elektrischen Trennschleifer einen Zeh des rechten Fußes abgeschnitten hat. Mindestens einen Teil der Schuld trage die Firma: „Sie haben uns keine Sicherheitsschuhe gegeben.“
Auch dieses Gespräch nimmt Aktivistin Liang auf, um Material für eine neue Studie zu sammeln, die ihre Organisation Sacom (Students and Scholars against Corporate Misbehaviour – Studenten und Professoren gegen Unmoral von Firmen) demnächst veröffentlicht. Sie übersetzt vom Englischen ins Chinesische und zurück. Die Auskunft des verletzten Arbeiters: Krankgeschrieben bekommt er jetzt 1.200 Yuan von der Sozialversicherung, 150 Euro monatlich. „Das Geld reicht nur noch für das absolut Nötigste“, übersetzt Liang. Vor seinem Unfall verdiente er etwa 3.500 Yuan im Monat, ungefähr 440 Euro. „Davon kann eine Person in einer Großstadt wie Shenzhen mit ihren vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten einigermaßen leben“, sagt Aktivistin Liang, „bei zwei Leuten wird es aber knapp.“
Und wie lange musste der Arbeiter Luo für diesen Lohn arbeiten? Seine Antwort: „Zwölf Stunden täglich, sechs Tage pro Woche“. Das macht 72 Stunden pro Woche. Zum Vergleich: In Deutschland fühlen sich Arbeitnehmer schon gestresst, wenn sie 40 Stunden in der Firma verbringen.
Die lange Arbeitszeit ist eines der Probleme, die Apple bis zum 1. Juli 2013 zu bereinigen versprach. Denn im chinesischen Arbeitsgesetz steht eindeutig, dass die maximale Arbeitszeit nur 49 Stunden pro Woche betragen darf. Wie der Arbeiter Luo und viele andere Beschäftigte von Apple-Zulieferfabriken in China jedoch bestätigen, lag auch im August und September diesen Jahres die Arbeitszeit oft weit über dem gesetzlichen Maß. Aktivistin Liang sagt es so: „Die iPhones werden noch immer auf illegale Weise produziert.“
Passiert das quasi aus Versehen? „Nein“, meint Professor Lu in seinem Büro der Peking-Universität, „Apple ist für die Arbeitsbedingungen verantwortlich.“ Der Konzern setze den Takt der Herstellung ganz bewusst, der zu den gesetzwidrigen Arbeitszeiten führe. Ständig würden neue Produkte – iPhone5, iPhone 5s, iPhone 5c - auf den Markt gebracht, von denen Dutzende Millionen Exemplare innerhalb kurzer Zeit hergestellt und weltweit ausgeliefert würden. Unter diesem Druck hätten die chinesischen Fabriken kaum eine Wahl, als rund um die Uhr zu arbeiten, auch samstags und vielfach sonntags, so Lu.
Zweiseitige Werbeanzeigen hat Apple unlängst in deutschen Zeitungen veröffentlicht. Zu sehen sind beispielsweise zwei Teenager, beide weiße Kabel im Ohr, die gemeinsam konzentriert Musik von einem Apple-Gerät hören. Im Text heißt es, das Unternehmen arbeite so lange an seinen Produkten, „bis jede Idee jedes Leben verbessert, das mit ihr in Berührung kommt“. Ein fast übermenschlicher Anspruch, dessen Gültigkeit der Konzern nach den Selbstmorden in seinen chinesischen Zulieferfabriken auch den dortigen Beschäftigten zuteil werden lassen möchte.
Mittlerweile schickt Apple regelmäßig Kontrolleure in die Fabriken. Zusätzlich beauftragten die Manager am Hauptsitz in Kalifornien die Fair Labor Association (FLA), eine amerikanische Organisation für „ethische Arbeitsverhältnisse“ mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Zuletzt im Mai 2013 veröffentlichte die FLA einen Bericht über Foxconn. Das ist der aus Taiwan stammende Hauptlieferant für Apple, in dessen chinesischen Fabriken etwa 1,3 Millionen Menschen arbeiten. In diesem Unternehmen geschahen die Selbstmorde.
Die meisten Probleme seien inzwischen behoben, heißt es in dem FLA-Bericht. In seitenlangen Tabellen dokumentieren die Kontrolleure die anfänglichen Fehler, ihr Prozedere und die Ergebnisse. Ein Beispiel: Im Foxconn-Werk Chengdu in Mittel-China waren die Feueralarm-Knöpfe teilweise kaputt und nicht mit chinesischen Schriftzeichen versehen. Die FLA-Leute drangen auf Reparatur und eine bessere Markierung. Schließlich trugen sie in die öffentlich zugänglichen Tabellen ihres Reportes ein: „completed“ - erledigt.
Einer der heiklen Punkte, den die Unternehmen kaum in den Griff bekommen, ist aber die zu lange Arbeitszeit. So räumte die FLA in ihrem Mai-Bericht ein, dass viele Foxconn-Arbeiter sehr viel länger arbeiten als 49 Stunden pro Woche. „Das verstößt gegen das Gesetz“, schreibt die FLA ausdrücklich. Ähnliches stellte die Arbeitsrechtsorganisation China Labor Watch im Juli 2013 auch bei der Firma Pegatron fest, in deren chinesischen Werken unter anderem die neuen iPhone 5s und 5c gefertigt werden. Bis zu 69 Stunden pro Woche seien an der Tagesordnung, so die Kritiker.
Fragt man Apple danach, beteuert das Unternehmen, alles dafür zu tun, die Bedingungen zu verbessern und die Gesetze einzuhalten. Die neuen Vorwürfe „werden wir sofort untersuchen“, heißt es in einer Erklärung des Konzerns von Ende Juli. Im August 2013 hätten 93 Prozent der befragten Zulieferbeschäftigten nicht mehr gearbeitet als 60 Stunden wöchentlich, erklärte ein Sprecher. Zum Überschreiten der 49-Stunden-Grenze des chinesischen Arbeitsgesetzes nahm er keine Stellung. Ein umfassender Bericht, ob Apple seine Versprechen zum 1. Juli 2013 eingehalten hat, fehlt bislang. Wann er kommt, will die Firma nicht verraten. Pegatron verweigert sowieso jegliche Interviews. Und Foxconn bleibt die versprochenen Antworten trotz Nachfragen bis Redaktionsschluss schuldig.
Aktivistin Liang glaubt ohnehin nicht richtig an das, was in den FLA- und Apple-Reports steht. In Hongkong hat sie ihren Uni-Abschluss in Kulturwissenschaften gemacht. Danach wollte sie „etwas Bedeutungsvolles“ tun. Dies besteht für sie darin, den Arbeitern zu helfen, „ihre Stimme zu erheben und ihre Interessen selbst zu vertreten“. Doch Apple und Foxconn würden ihre Beschäftigten noch immer wie „austauschbare Werkzeuge“ behandeln. Aber muss sie nicht einräumen, dass sich die Unternehmen zumindest bemühen, die Zustände zu verbessern? „Ich weiß es nicht genau“, antwortet Liang. „die Arbeiter haben an den Berichten ja nicht aktiv mitwirken können“. Vielleicht beschwöre Apple einen Fortschritt, der so gar nicht stattfinde.
Deshalb redet Liang lieber mit den Beschäftigten selbst. Sie und ihre Kollegen fahren zu den Fabriken und sprechen die Arbeiter an. Ein Ort, wo sich das gut machen lässt, ist die Einkaufsgasse gegenüber des Foxconn-Werks in Taiyuan, einer Stadt 400 Kilometer südwestlich von Peking.
19.00 Uhr, es ist bereits dunkel, bald beginnt die zwölfstündige Nachtschicht. Zwischen den zweistöckigen Gebäuden streben die Arbeiterinnen und Arbeiter – die meisten jünger als 25 – zur Fabrik. Am Straßenrand stehen Elektromopeds, auf deren Ladefläche Holzkohlegrills montiert sind. Hühnchenfleisch- und Gemüsespiesse sind beliebter Proviant für die langen Nachtstunden. Nebenan gibt es Friseure und Internetcafes, wo man morgens eine Pause auf dem Nachhauseweg einlegen kann. An einer Ecke liegt ein riesiger Haufen Steinkohle. Die Luft ist staubig, permanent hängt Smog über der Stadt, Taiyuan ist Kohle-Abbau-Gebiet.
Informationen, die ihnen nicht unbedingt in den Kram passen, bekommen Aktivistinnen wie Liang hier aber auch zu hören. Zhi Wang* (25), wache Augen, hellbraune Kunstlederjacke, Bluejeans, bietet den Fragern Zigaretten an. Er nimmt einen Zug, hat Zeit, erklärt, wofür er in der Foxconn-Fabrik zuständig ist: Software auf die iPhone 4s spielen. Seit geraumer Zeit sei es ziemlich ruhig, sagt er, kaum Überstunden, zehn Stunden Arbeit pro Tag höchstens. Das könne daran liegen, dass die Nachfrage nach den älteren Smartphone-Modellen zurückgehe. Wang scheint nicht gestresst zu sein. Noch geraume Zeit steht er hier und plaudert.
„Wie findest Du die Arbeit bei Foxconn?“ Stellt man in der Einkaufsgasse diese Frage, bekommt man häufig dieselbe Antwort: „ganz okay“. Ja, sicherlich, es gibt Beschwerden. Manchmal schreien die Vorarbeiter herum, der Lohn reicht nicht immer, manche Arbeiterin hätte gerne mal einen Tag mehr frei, um aus dem Trott rauszukommen. Aber insgesamt machen den Leute nicht den Eindruck, als würden sie geknechtet, als wären sie verzweifelt oder als könnten sie ihre Wut nur mühsam zurückhalten.
Ähnliches ist vor den Werkstoren der Firma Pegatron in Shanghai zu erfahren. Hier werden viele der neuen iPhone 5s und 5c produziert. Fünf Minuten vom Haupteingang der Fabrikstadt entfernt, in der etwa 70.000 Menschen arbeiten, gibt es einen Markt mit Essenständen. Es duftet, 25 Grad Außentemperatur, die Sonne scheint, Zeit für das Frühstück nach der Nachtschicht: Glasnudeln, Pilze, Sprossen, Gurken, etwas Fleisch vom Schweinskopf, dazu Mantou - dicke, weiße Dampfbrötchen. Wei Liu* (20) und seine Kollegen kommen gerade von der Produktionsstraße und setzen sich.
Liu macht an der Berufsschule eine Ausbildung zum Maschinentechniker. Hier ist er jetzt Praktikant, arbeitet seit drei Monaten am Band und baut den Vibrationsmechanismus in das 5s ein. In seinen Ohrläppchen stecken Glitzersteine, Ersatz-Essstäbchen schauen aus der Ärmeltasche seines lachsfarbenen Pegatron-Arbeitshemdes.
„Das iPhone ist ein Statussymbol“, sagt er, „jeder will es haben. Für mich ist es sehr teuer.“ Etwa ein Monatsgehalt müsste er für das neueste Modell ausgeben. Bisher hat er verzichtet. Trotzdem fühlt Liu sich fair bezahlt: 4.000 Yuan pro Monat, etwa 500 Euro, erwirtschaftet er in 70 Arbeitsstunden. Für seinen Lebensunterhalt reiche das Geld locker. Und nicht nur dafür: Einige tausend Yuan lege er pro Jahr zurück. Das Geld schicke er an seine Eltern – für sie, für seine eigene Zukunft.
Liu sieht müde aus. „Die Arbeit hier ist nicht anstrengend“, sagt er trotzdem. Er meint: Im Vergleich zu der seiner Eltern, den Bauern. Wie ist das Leben in seinem Heimatdorf? Drei Mal Säen pro Jahr, die Felder bearbeiten, drei Ernten, eigentlich immer arbeiten, nicht elf, zwölf Stunden täglich wie er, sondern immer. „Dennoch haben sie kein sicheres Einkommen, wegen des Wetters“. Ja, Liu ist müde. Aber er findet: „Ich habe es besser als meine Eltern“. Für ihn ist die Arbeit bei Apple persönlicher Fortschritt.
Nicht nur für ihn. Während der vergangenen 30 Jahre sind Hunderte Millionen Chinesen der absoluten Armut auf dem Land entkommen. Sie wohnen in den neuen Städten, gehen in die Karaoke-Bars, in die Kinos, kaufen Kühlschränke, fahren Motorrad.
Auch Professor Lu, der Apple-Kritiker von der Peking-Universität sieht den Fortschritt. Er kann ihn beziffern. Mindestlohn in Shenzhen 1992: 245 Yuan. Heute: 1.600 Yuan. Knapp das Siebenfache innerhalb von 20 Jahren. So will es auch die Regierung. Die Leute sollen mehr Geld verdienen, mehr lernen, hochwertige Produkte herstellen. Hinzu kommt: Allmählich werden die Industriearbeiter knapp in China. All das wissen die Manager von Foxconn und Pegatron. Um weiter Millionen Beschäftigte anheuern zu können, müssen sie die Arbeitsbedingungen verbessern. Auswandern nach Laos oder Vietnam in großem Stil ist keine Option für die Konzerne. Viel zu wenig Menschen dort, keine Infrastruktur, um ein Hightech-Unternehmen zu betreiben.
Fortschritt also. Aber auch: „Schwere Ausbeutung“, sagt Lu, „denn der Arbeitslohn in der Produktionskette von Apple reicht nur, um jeweils eine Person zu unterhalten. Eine eigene Familie können die Beschäftigten damit nicht finanzieren.“ Obwohl die Leute zwölf Stunden täglich am Band stehen, obwohl sie nur arbeiten, essen, schlafen, wieder arbeiten, deckt der Lohn nicht die Reproduktionskosten der Arbeiter. Man kann sagen: Die Fabrik frisst ihre Kinder. Weil sie es ihnen nicht ermöglicht, selbst welche zu bekommen.
Solche Widersprüche treiben auch Liang um, die Arbeiteraktivistin. Sie ist auf der Rückfahrt nach Hause. Stundenlang ziehen am Fenster des Busses neue Wohnblöcke für hunderttausende Menschen vorbei, Einkaufsmalls, Fabriken. Fortschritt? „In den alten Zeiten, als China noch an den Kommunismus glaubte, wurden die Arbeiterklasse und die Arbeiter oft besser behandelt“, sagt sie, die moderne, junge Frau aus Hongkong, „da konnten sie eine Familie ernähren.“
(*) Name geändert
Shorty
Die Ökonomie des iPhones
Nur 1,8 Prozent des Verkaufspreises eines iPhone 4 kostet die Arbeit in den chinesischen Zulieferfabriken. Zu diesem Ergebnis kamen US-Wissenschaftler 2011. Von rund 450 Euro Endkundenpreis waren das knapp neun Euro. Ein Foxconn-Manager gab diese Größe einmal mit drei Prozent an. Das wären 13,50 Euro. „In beiden Fällen ist klar: Apple könnte den Lohn der Arbeiter in den Zulieferfabriken mühelos verdoppeln oder verdreifachen, beziehungsweise den Zulieferern dies auferlegen, und ihnen entsprechend höhere Preise zahlen“, sagt Cornelia Heydenreich von der Organisation Germanwatch. Für den Verkaufspreis des Gerätes hätte dies keine entscheidenden Auswirkungen. Entweder würde das iPhone für die Kunden etwas teurer oder Apples Gewinn wäre etwas geringer – aber immer noch exorbitant. Letzterer lag bei iPhones in den Jahren 2011 und 2012 beispielsweise um die 50 Prozent des Verkaufspreises, wie einer Zeugenaussage im Apple-Samsung-Prozess zu entnehmen war. Germanwatch-Mitarbeiterin Heydenreich: „Nicht nur angesichts solcher Gewinnmargen ist es eine Gebot ethischer Verantwortung, bei den Beschäftigen in den Zulieferbetrieben für existenzsichernde Einkommen zu sorgen.“