Arbeit geht auch ohne Stress

Gewerkschaft will Anti-Stress-Verordnung durchsetzen / Jeder Vierte leidet unter Zeit- und Leistungsdruck

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Von Wolfgang Mulke

23. Apr. 2013 –

Mit einem immer härteren Wettbewerb und schnelleren Innovationszyklen steigt der Stress für die Beschäftigten in den Betrieben immer weiter an. „Wir haben eine Belastung, die immer weiter wächst“, stellt IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban fest. Unter Stress verstehen die Gewerkschaften vielerlei psychische Beschwerden, die sich aus krank machenden Arbeitsbedingungen ergeben. Nach Urbans Willen muss das Arbeitsschutzrecht in Deutschland deshalb erweitert werden. Die Metaller fordern eine Anti-Stress-Verordnung. Damit sollen Unternehmen verpflichtet werden, die Bedingungen in Büros und Werkhallen auf ihre psychische Verträglichkeit hin zu überprüfen.


Eine Umfrage der Gewerkschaft unter 1000 Erwerbstätigen ergab einen eindeutigen Befund. 28 Prozent der Beschäftigten beklagen Stress im Job, vor allem durch einen hohen Leistungs- und Zeitdruck. Auch dass Arbeitnehmer für den Chef immer häufiger ständig erreichbar sein sollen, bringt sie an ihre Belastungsgrenze. Mehr als 40 Prozent der Befragten gaben an, dass diese „hin und wieder“ der Fall sei. Sieben von zehn Arbeitnehmern wünschen sich von der Politik, dass der Schutz gegen hohen Leistungsdruck und gesundheitsschädigenden Arbeitsstress ausgedehnt wird.


Daran hapert es Urban zufolge noch. Deshalb hat die Gewerkschaft eine Verordnung entworfen, mit der das Arbeitsschutzrecht an die noch vergleichsweise junge Entwicklung angepasst werden soll. Die Regelung enthält Vorgaben für die Betriebe, die wichtigsten Gefährdungsfaktoren herauszufinden und möglichst abzustellen. Es gibt viele kleine Faktoren, die Arbeitnehmern schnell überfordern können. Extrem monotone Tätigkeiten können Beschäftigte genauso krank machen wie die hohe Belastung durch parallel laufende Projektarbeiten. Auch wenn die Ruhe zur Arbeit fehlt, weil ständig das Telefon klingelt oder Mails beantwortet werden müssen, löst dies Stresssituationen aus. Mit einer gesetzlichen Schutzregelung könnten aber auch nach Meinung der Metaller niemand eine ruhige Kugel schieben. „Wir hängen nicht der Illusion eines stressfreien Arbeitsplatzes nach“, betont Urban.


Das es anders geht, belegen Beispiele aus einzelne Unternehmen, in denen starke Betriebsräte verbesserte Arbeitsbedingungen aushandeln konnten. Laut Urban stieg beim Aufzugbauer Otis in Mannheim der Krankenstand unter den Monteuren stark an. Bei der Ursachenforschung fanden Betrieb und Arbeitnehmervertreter heraus, dass frei werdende Stellen nicht wieder besetzt worden waren und deshalb die Belastung der verbliebenen Facharbeiter über ein erträgliches Maß hinaus anwuchs. Mittlerweile haben sich beide Seiten auf eine Sollstärke beim Personal verständigt. Darüber hinaus wurden die Monteure technisch besser ausgestattet, weiter qualifiziert und ihre Büroräume neu gestaltet. Die Belastungen konnten so deutlich reduziert werden.


„Diese guten Beispiele sind relativ selten“, kritisiert Urban. Obwohl auch die Betriebe von gesundheitsfördernden Arbeitsbedingungen durch geringe Krankenstände profitieren, scheuen sich viele vor einer offenen Analyse der betrieblichen Realitäten. Dafür macht die Metallgewerkschaft das weit verbreitete kurzfristige Denken in den Chefetagen verantwortlich. Es habe sich ein kurzfristiger Blick auf die Renditen durchgesetzt, sagt Urban. Auch deshalb hält er eine Anti-Stress-Verordnung für notwendig.


Die Arbeitgeber der Metallbranche lehnen den Vorschlag rundweg ab. „Es gibt längst strenge Regelungen zum Arbeitsschutz“, betont der Hauptgeschäftsführer des Verbands Gesamtmetall, Oliver Zander. Psychische Erkrankungen gingen auf im jedem Einzelfall unterschiedliche Mischungen von Ursachen zurück. Der Verband plädiert für eine gründliche Ursachenforschung. Gerade psychische Belastungen und Stress hätten ihre Ursache auch durch private Probleme der Beschäftigten. Die pauschale Kritik, das Arbeit krank mache, gehe an der Realität völlig vorbei.

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