Arbeitsministerin gegen kleine Gewerkschaften
Bundesregierung beschließt umstrittenes Gesetz, das Streiks durch die Hintertür einschränkt
10. Dez. 2014 –
Deutschland ist kein Land, das ständig von Streiks lahmgelegt wird. Selten rufen Gewerkschaften ihre Mitglieder dazu auf, nicht zu arbeiten und Firmen unter Druck zu setzen. So haben sich 2013 gerade einmal 60.900 Arbeitnehmer an Ausständen beteiligt – 0,25 Prozent der sozialversicherten Beschäftigten. Trotzdem beschließt die Bundesregierung am Donnerstag einen Gesetzentwurf, der Streiks unwahrscheinlicher macht.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat das „Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit“ ausarbeiten lassen. Stimmt der Bundestag zu, und tritt es 2015 in Kraft, haben kämpferische Organisationen wie die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) oder der Marburger Bund, der Krankenhausärzte repräsentiert, ein Problem. Sie dürften dann wohl nicht mehr so mit den Arbeitgebern verhandeln und gelegentlich auch streiken, wie sie es bisher tun.
Die genauen Formulierungen des Gesetzes sind noch nicht bekannt. Bislang durchgesickert ist nur ein Entwurf. Darin steht, dass Nahles „Tarifkollisionen“ vermeiden will. Ein Fall, auf den das Gesetz zielt, ist beispielsweise der aktuelle Konflikt bei der Deutschen Bahn AG. Hier streikt die Gewerkschaft der Lokführer auch dafür, dass sie einen neuen Tarifvertrag für die Zugschaffner abschließen kann. Für diese Berufsgruppe verhandelte mit der Bahn bisher aber die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Nahles' Gesetz würde bewirken, dass nicht zwei Gewerkschaften für die gleiche Berufsgruppe Tarifverträge aushandeln und erstreiken dürfen, sondern nur eine - und zwar die größere, die mehr Mitglieder in der umstrittenen Sparte hat. Bei den Schaffnern wäre die GdL aus dem Rennen und müsste sich dem anschließen, was die EVG aushandelt.
Laut Gesetz würden die Arbeitsgerichte entscheiden, welche der konkurrierenden Gewerkschaften die größere ist. Dafür müssten die Organisationen ihre Mitgliederlisten vorlegen. Diese Regelungen sollen jedoch nur gelten, wenn zwei Arbeitnehmerorganisationen sich um eine bestimmte Gruppe von Beschäftigten streiten. Sind sie sich einig, dass beide für unterschiedliche Gruppen verhandeln, soll das weiter möglich sein.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hat bereits angekündigt, das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in Frage zu stellen. Das Vorhaben schränke das Koalitionsrecht ein, das im Grundgesetz garantiert werde. Auch mehrere große Arbeitnehmerorganisationen lehnen das Gesetz ab. Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, sagt: „Eine solche Einschränkung des Streikrechts schadet allen Gewerkschaften.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dem auch Ver.di angehört, dagegen war es, der das Gesetzesvorhaben zusammen mit dem Bundesverband der Arbeitgeber (BDA) initiierte. Nachdem das Bundesarbeitsgericht die früher geltende Tarifeinheit in einem Grundsatzurteil beerdigt hatte, forderten DGB und BDA die Bundesregierung 2010 auf, den alten Zustand mit neuen Mitteln wiederherzustellen. Das Motiv des DGB: Die unter seinem Dach zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften haben in den vergangenen Jahren viele Mitglieder an kleine, freche und kampfstarke Spezialgewerkschaften verloren. Auch die Arbeitgeberverbände finden das nicht toll, denn die Tarifverträge, die die neuen Organisationen aushandeln, kosten oft mehr Geld.