Armut geht leicht zurück

Laut Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung sinkt der Anteil der Armen, weil sich unter anderem die Lage von Alleinerziehenden verbessere. Gewerkschaftsstiftung beklagt dagegen zunehmende Armut.

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Von Hannes Koch

05. Nov. 2024 –

Im Gegensatz zu den unerquicklichen Nachrichten, die momentan die Wirtschaftsentwicklung dominieren, steht ein positiver Befund. Die Armut in Deutschland scheint seit 2021 abgenommen zu haben. Darauf deuten drei Indikatoren hin, unter anderem der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wertet das als „Trendbruch“ angesichts der früher oft steigenden Armutszahlen.

Die Armutsrisikoquote derjeinigen Personen in Deutschland, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, ist im Mikrozensus von 16,9 Prozent (2021) auf 16,6 Prozent 2023 zurückgegangen. In einer europäischen Datenreihe (EU-SILC) ist sie von 16,8 Prozent (2020) auf 14,4 Prozent in 2022 gesunken. Eigene Zahlen des DIW deuten ebenfalls in diese Richtung. Die bislang unveröffentlichte Auswertung liegt dieser Zeitung vor. Sie widerspricht einem Bericht, den die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung an diesem Montag präsentierte. Demnach wächst die Armut weiter.

Die Armutsgrenze liegt für einen Privathaushalt mit einer Person beispielsweise bei 1.350 Euro netto. Dass ein geringerer Anteil die Bürgerinnen und Bürger mit solch niedrigen Einkommen zurechtkommen muss, beruht Markus Grabka zufolge unter anderem auf der besseren wirtschaftlichen Situation von Alleinerziehenden. Für diese Gruppe sei ein „starker Rückgang“ der Armut zu verzeichnen.

Als Ursache nennt der Soziologe etwa den Ausbau von Kindertagesstätten, wodurch alleinerziehende Eltern mehr arbeiten können. Auch die Unterhaltszahlungen seien angehoben worden, so Grabka. Eine große Rolle spielt zudem die insgesamt positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt während der vergangenen Jahre. Die Zahl der Beschäftigten stieg permanent, und der gesetzliche Mindestlohn erhöhte die Verdienste.

Diese positiven Entwicklungen hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung in seinem neuen „Verteilungsbericht“ möglicherweise nicht komplett erfasst, weil die von ihm verwendeten Zahlen des sozio-oekonomischen-Panels nur bis 2021 reichen. Den Böckler-Daten zufolge ist die Armutsrisikoquote zwischen 2016 und 2021 von 16,1 auf 17,8 Prozent gestiegen. Wobei die abweichenden Ergebnisse solcher Befragungen und Auswertungen teilweise auch mit unterschiedlichen Methoden zusammenhängen. Einig sind sich die beiden Institute jedoch darin, dass der Gini-Koeffizient weiter leicht steigt. Diese Größe ist ein Maß der sozialen Ungleichheit: Reiche profitieren mehr von der Entwicklung als Arme – selbst wenn sich deren soziale Lage ebenfalls verbessert.

Böckler-Forscherin Bettina Kohlrausch kritisierte „die Zunahme sozialer Ungleichheit und die Verfestigung von Armut“. Materielle Sorgen grassierten nicht nur in Haushalten mit wenig Geld, sondern würden auch in wohlhabenderen Kreisen um sich greifen. „Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen in der unteren Einkommenshälfte, aber auch knapp 47 Prozent in der oberen Mittelschicht fürchteten im vergangenen Jahr, ihren Lebensstandard zukünftig nicht mehr halten zu können“, heißt es im Verteilungsbericht. Als mögliche Ursachen wurden die steigenden Wohnungskosten genannt.

„Der Staat löst sein Teilhabeversprechen nicht mehr ein“, beklagte Kohlrausch. In breiten Schichten der Bevölkerung machten sich „Statusängste“ breit. So würden Arbeitslose beschimpft, weil sie angeblich zu viel Bürgergeld erhielten. Radikale Rechte würden diese Missstimmung für ihre Interessen ausbeuten, befürchtet die Böckler-Stiftung.

Als Therapie gegen zunehmende Armut empfehlen die Forscherinnen und Forscher eine stabilere soziale Grundsicherung und Infrastruktur. Die Bundesregierung solle darauf hinwirken, dass Unternehmen ausreichende Löhne zahlten. Als ein Mittel in dieser Richtung nannte Bettina Kohlrausch eine stärkere Tarifbindung: Firmen müssten dahingehend beeinflusst werden, Tarifverträge anzuwenden, die mit Gewerkschaften ausgehandelt würden.

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