Armut ist ein Markt
Kommentar zu Discounter-Jobs von Hannes Koch
10. Jan. 2012 –
Es ist beschämend. Lidl beispielsweise bietet jetzt Herrenhemden und Baby-Kuscheljacken für 4,99 Euro an. Wie kommen solche Preise zustande? Indem junge Frauen und Männer, einige kaum erwachsen, an sieben Tagen pro Woche jeweils 15 Stunden schuften. Zeit mit den Kindern und Freunden haben sie kaum, denn schlafen müssen sie ja auch. Urlaub gibt es nicht, ebensowenig frische Luft und genießbares Essen in der Fabrik. Und am Ende des Monats haben die Näher und Näherinnen umgerechnet 40 Euro verdient – viel zu wenig, um damit ihre Familie über die Runden zu bringen.
So sehen die Arbeitsbedingungen in vielen Firmen aus, die in Bangladesch, Kambodscha oder Indonesien für den Weltmarkt produzieren – auch im Auftrag deutscher Handelsketten wie Lidl, KiK oder Aldi. Natürlich gibt es Ausnahmen, nicht in jedem Zulieferbetrieb sind die Arbeitsbedingungen miserabel. Aber allzu oft lautet das Prinzip: Die Arbeiter verdienen fast nichts – deshalb kosten die Produkte fast nichts.
Eigentlich ist die Welt schon weiter. Derartige Zustände sind rechtswidrig. Durch die Konventionen und Regeln der Internationalen Arbeitsorganisation sind sie global untersagt. Doch warum existieren sie trotzdem? Dafür gibt es viele Gründe. In reichen Ländern wie Deutschland leben Millionen Menschen, die auf billige Produkte wie 4,99-Euro-Hemden angewiesen sind. Auch Armut ist ein Markt. Zudem können oder wollen schwache Länder wie Bangladesch das Weltrecht gegen mächtige Privatinteressen nicht durchsetzen. Aber auch die Regierungen funktionierender Staaten wie Deutschland leisten ihren Beitrag: Nicht nur Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schauen zu, wenn große Unternehmen die sozialen Menschenrechte mit Füßen treten.
So geht es nicht weiter. Wir müssen das internationale Recht auch national anwenden. Was spricht dagegen, dass Bundestag und Bundesregierung den in diesem Land tätigen Unternehmen gesetzlich vorschreiben, die universellen Normen auch hierzulande anzuwenden? In letzter Konsequenz dürften die Discounter dann keine Waren verkaufen, die im Ausland unter Rechtsbruch produziert wurden. Hilfreich wäre das vielleicht auch für Deutschland selbst: Die Löhne müssten steigen, damit sich die ärmeren Bevölkerungsschichten die teureren Produkte leisten können. Sind die Abgeordneten und die Bundesregierung nicht bereit, über eine solche Strategie nachzudenken, leisten sie weiterhin Beihilfe zur Verletzung der sozialen Menschenrechte.