Atomkonzern in Staatshand
Die Energieunternehmen bieten der Bundesregierung an, die Kernkraftwerke zu übernehmen. Gewinn oder Verlust für den Staat?
12. Mai. 2014 –
Am Vorschlag, die deutsche Atomindustrie zu verstaatlichen, scheiden sich die Geister. „Die Idee finde ich jetzt erstmal nicht schlecht“, kommentierte Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Die Bundesregierung wies den Plan dagegen zurück. Welche Vor- und Nachteile könnte es bringen, wenn unter anderem die Kernkraftwerke einer öffentlichen Stiftung gehörten? Unsere Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum machen die Atomkonzerne einen solchen Vorschlag?
Wenngleich die Unternehmen E.ON, RWE und EnBW zu dem vom Spiegel veröffentlichten Vorschlag am Montag nichts sagen wollten, lässt sich ihre Lage so beschreiben: Die Kernkraftwerke sind weniger ausgelastet, ihr Gewinn sinkt, weil mehr Ökostrom produziert wird. Außerdem haben die Vorstände Sorgen wegen der hohen Kosten, die der Abriss der Anlagen und der Bau des Endlagers für stark strahlenden Müll verursachen werden.
Hätte der Staat Vorteile?
Die Idee ist offenbar, eine öffentliche Stiftung zu gründen, die die Atomkraftwerke bis zum Ausstieg 2022 betreibt, ihren Abriss organisiert und das Endlager für Atommüll errichtet. Als Gegenleistung für die Übernahme müssten die Unternehmen Milliardenwerte auf die Stiftung übertragen. Aus diesen Einnahmen würde die Abwicklung der Atomindustrie finanziert.
Welche Werte bekäme die Stiftung?
Wenn der Stiftung die Nuklearanlagen gehörten, erhielte sie erstens die Erlöse aus dem Verkauf des Stroms. 2011 schätzte die Investmentbank Lazard diese Einnahmen auf rund 15 Milliarden Euro. Die Summe könnte aber geringer ausfallen, da der Verkaufspreis pro Megawattstunde seitdem um etwa 20 Prozent gesunken ist. Zweitens würden die Firmen etwa 36 Milliarden Euro auf die Stiftung übertragen, die sie als Rückstellung für die Entsorgung des Atommülls gebildet haben. Weil die Mittel zum Teil in Kohle- und Gaskraftwerken angelegt sind, müssten auch diese möglicherweise in die Stiftung eingebracht werden. Drittens könnten die Konzerne auf juristische Klagen vor Gericht verzichten, die sie gegen die Bundesregierung unter anderem wegen des schnellen Atomausstiegs angestrengt haben. Das könnte der Regierung Zahlungen von bis zu 15 Milliarden Euro ersparen. Die drei Posten zusammengerechnet, beliefen sich die finanziellen Vorteile für den Staat auf 66 Milliarden Euro.
Wie hoch wären die Kosten?
Die Verschrottung und Entsorgung von 17 Atomkraftwerksblöcken wird auf etwa 25 Milliarden Euro geschätzt. Dabei stellt sich aber die Frage, wer die weiteren Kosten für die 13 Blöcke übernimmt, die laut Atomforum bereits abgebaut werden. Hinzu kommen die Ausgaben für die Erkundung und Errichtung des Atomendlagers. Diese können bis zu 30 Milliarden betragen. Die Kosten würden sich damit auf etwa 55 Milliarden summieren. Unter dem Strich würde die öffentliche Stiftung einen Gewinn von elf Milliarden Euro erwirtschaften. In dieser groben Rechnung stecken allerdings viele Variablen. Nicht ausgeschlossen ist, dass der Staat am Ende Verlust macht.
Was will die Regierung?
Im Koalitionsvertrag steht, dass die Regierung eine Garantie der AKW-Betreiber für deren Rückstellungen erreichen will. Denn es gibt Zweifel, ob die 36 Milliarden Euro wirklich vorhanden sind, wenn sie gebraucht werden. Eine oft gestellte Frage lautet: Ist der gebeutelte RWE-Konzern in der Lage, seinen Anteil von zehn Milliarden aufzubringen? Eine Möglichkeit zur Sicherung der Rückstellung wäre es nun, diese in einen öffentlichen kontrollierten Abrissfonds einzubringen. Ein Interesse an der Übernahme der AKW hat die Regierung aber bisher nicht geäußert.
Existiert ein Vorbild?
Die private, aber staatlich kontrollierte RAG-Stiftung wickelt den Steinkohle-Bergbau an Ruhr und Saar ab. Gleichzeitig trägt sie die sogenannten Ewigkeitskosten des Bergbaus – sie finanziert beispielsweise, dass alte Stollen gefüllt werden, damit die Wohnhäuser darüber nicht einstürzen. Tun kann sie das, weil ihr die Ruhrkohle AG und der profitable Chemiekonzern Evonik gehören. Dessen Gewinne finanzieren die Abwicklung und Sicherung der Bergwerke. Bisher funktioniert das Modell.