Auch Merkel wusste nichts vom Diesel-Skandal

Der Untersuchungsausschuss zu den Abgasmanipulationen endet mit nur wenigen Erkenntnissen. Von den Verfehlungen der Autohersteller will niemand etwas mitbekommen haben.

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Von Wolfgang Mulke

09. Mär. 2017 –

Bundeskanzlerin Angela Merkel kam sogar ein paar Minuten vor der Zeit in den Bundestag. Im Sitzungssaal 3.101 begrüßte sie die Abgeordneten des Abgas-Untersuchungsausschusses einzeln per Handschlag, nickte kurz dem Publikum auf dem ersten Rang zu und setzte sich dann in den Zeugenstand. Merkel, diesmal in einem petrolgrünen Blazer, machte gleich deutlich, dass sie zur Aufklärung des Falls VW nicht viel beitragen kann. Nur ein paar Seiten mit handschriftlichen Notizen legte sie neben sich auf den Tisch.

Sie heiße Angela Dorothea Merkel und wohne in der Willy-Brandt-Straße 1 gab sie nach der Belehrung über die strafrechtlichen Folgen falscher Aussagen zu Protokoll. Auf das übliche Eingangsstatement der Zeugen verzichtete die Kanzlerin. Verkehrsminister Alexander Dobrindt hatte bei seiner Befragung vor wenigen Wochen noch eine erschöpfende Aneinanderreihung der Ereignisse nach dem September 2015 vorgetragen. Merkels Signal war deutlich: Der VW-Skandal ist nicht ihr Fall.

Sie habe erst aus den Medien von der Manipulationssoftware des Wolfsburger Konzerns erfahren. Dobrindt habe sie darüber informiert, Aufklärung versprochen und einen Untersuchungsausschuss durch Experten vorgeschlagen. „Ich habe ihn dazu ermuntert“, sagte Merkel. Nicht ihr Fall halt. Die einzige Klippe der Befragung überwindet sie anschließend auch souverän. Dabei ging es um ein Treffen mit den früheren Gouverneur Kaliforniens, Arnold Schwarzenegger, im Jahr 2010. Am diesem Gespräch nahm auch die Chefin der dortigen Umweltbehörde, Mary Dolores Nichols teil, die am vergangenen Montag den Abgeordneten als Zeugin per Videoübertragung von einem energischen Einsatz Merkels für die deutsche Autoindustrie und von ihrer Beschwerde über zu strenge Umweltvorgaben in den USA berichtete.

Waren der Bundesregierung also doch schon frühzeitig die Probleme der Hersteller bekannt, die Stickoxyd-Grenzwerte bei Diesel-Autos einzuhalten? Das hatten andere Zeugen inklusive zweier Verkehrsminister bestritten. „Damals gab es Pläne zur Fortentwicklung der kalifornischen Emissionswerte“, erläuterte Merkel. Die für das Jahr 2014 geplanten Normen hätten die deutsche Autoindustrie von diesem Markt ausgeschlossen. Ihr sei es vor allem um das Klimagas CO2 gegangen, dessen Ausstoß durch Dieselfahrzeuge gesenkt werden könnten. Das habe sie vielleicht gesagt, aber eine konkrete Erinnerung habe sie nicht.

Die zweite Klippe nahm die Kanzlerin noch schneller. Dabei ging es um den Einfluss der Autoindustrie auf das Kanzleramt bei der Festlegung der Normen für die neuen europäischen Testverfahren. Da gibt Merkel die um einen nationalen wie internationalen Interessenausgleich bemühte Regierungschefin. In Deutschland habe sie die Positionen des eher strengen Umweltministeriums mit denen der eher industriefreundlichen Ministerien für Wirtschaft und Verkehr zusammengebracht. In Europa gemeinsam mit dem Autoland Frankreich eine Position gegenüber den scharfen Vorschlägen der EU-Kommission erarbeitet.

Mit allen anderen Details der Dieselproblematik hat sich Merkel nach eigenen Angaben nie befasst. Mit der Reaktion der Regierung auf den Skandal durch den Verkehrsminister ist sie zufrieden. „Ich habe nicht die geringsten Zweifel, dass es in guten Händen liegt“, lobt sie Dobrindt. Für strukturelle Veränderungen bei der Kontrolle der Autoindustrie bestehe keine Notwendigkeit. So endet die erste Fragerunde und das wird wohl auch die Kernaussage im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses werden.

Die Abgeordneten sollten die Rolle der Bundesregierung bei der Aufklärung des Diesel-Skandals klären. Ausgangspunkt dafür war die Entdeckung einer illegalen Software in VW-Fahrzeugen in den USA, die am 18. September 2015 bekannt wurde. Das Programm sorgte dafür, dass die Abgaswerte auf dem Prüfstand einwandfrei waren, die Reinigung der Emissionen im Straßenbetrieb jedoch heruntergefahren wurde. Später fand die danach eingesetzte Untersuchungskommission auch bei Modellen vieler anderer Hersteller so genannte Abschaltvorrichtungen. Eine schwammig formulierte europäische Richtlinie lässt dies zu. Viel weiter kam die Untersuchung nun auch nicht.

Die große Koalition hat den Wahlkampf vor den Saaltüren gelassen. Die meisten Abgeordneten des Ausschusses kommen aus Regionen, in denen die Autoindustrie ein wichtiger Arbeitgeber ist. Nicht einmal die Linke, die den Vorsitzenden Herbert Behrens stellt, mag sich die Branche richtig vorknöpfen. Zu wichtig sind den Gewerkschaftern in der Partei wohl die gut bezahlten Jobs in den Autofabriken.

Einzig der Grüne Oliver Krischer hält den Umgang von Politik und Behörden mit der Autoindustrie für ein „organisiertes Staatsversagen“. Notfalls will Krischer dem Abschlussbericht im Juni ein Minderheitsvotum dieses Inhalts beifügen. Damit neigt sich auch der seit einem halben Jahr laufende Aufklärungsversuch des Dieselskandals dem Ende zu. Die Bundeskanzlerin kam als letzte der insgesamt 57 Zeugen und 13 Sachverständigen in den Ausschuss.

Die Ergebnisse der Arbeit sind überschaubar, weil niemand in Ministerien oder Behörden von den Manipulationen gewusst haben will. Auch seien Straßentests bei der Messung der Abgase erst in diesem Jahrzehnt technisch möglich geworden und sollen nun zum Standard werden. Den Höhepunkt der Unwissenheit lieferte der frühere Vorstandsvorsitzende von VW, Martin Winterkorn, bei seiner Aussage im Januar. Auch der Manager hat seinen Angaben zufolge erst am 18. September 2015 von den Machenschaften seines Unternehmens erfahren. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der im VW-Aufsichtsrat sitzt, gab an, erst einen Tag später aus der Tagesschau davon erfahren zu haben. So sehen die Abgeordneten der Koalition auch keinen Anhaltspunkt für Verfehlungen.

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